Zukünftige Use-Cases für Blockchain
April 10, 2019
Aus dem Unterricht des CAS Blockchain Economy vom 26.3.2019 mit Manuel Stagars berichtet Dr. Stefan Oglesby
In seiner Lektion hat Manuel Stagars den Blick für neue Geländekammern von Blockchain Use-Cases jenseits von Fintech und Supply Chain Management geöffnet. Er hat ein spezielles Augenmerk auf sogenannte “Edge-Cases” gerichtet, die ein Geschäftsfeld exponentiell verändern. Manuel Stagars ist Oekonom und hat in den letzten Jahren die Blockchain Story (und andere Themen) mit den Mitteln des Dokumentarfilms auf eine neue Art und Weise erzählt.
Blockchain beziehungsweise Distributed Ledger Technology (DLT) ist im Kern eine neue Verbindung von bereits seit den 1970er Jahren entwickelten Technologien: Asymmetrische Kryptographie und Distributed Computing. DLT («Ledger» = Kassenbuch) bietet entscheidende Vorteile:
DLT ist nicht auf finanzielle Transaktionen beschränkt – in einem Distributed Ledger kann zum Beispiel der Ursprung von Daten hinterlegt werden, oder wer welche Daten wann angeschaut hat. Es gibt verschiedene Implementierungen der DLT, entsprechend unterschiedlich sind die spezifischen Eigenschaften. So sind zum Beispiel nicht alle Blockchains «censorship resistant». Wichtig ist die Unterscheidung zwischen public und private Blockchains (bzw. zwischen permissionless und permissioned Blockchains). Entsprechend breit ist das Spektrum von möglichen zukünftigen Use-Cases.
Bis 2017 standen vor allem Use-Cases in Fintech, Banking und Supply Chain Management im Vordergrund. Weitere, zukünftige Use-Cases für Blockchain Technologie zeichnen sich in den letzten Monaten ab. Ein wichtiger Bereich für neue Use-Cases für Blockchain ist Data Sovereignty. Das Geschäftsfeld gewinnt an Bedeutung, weil die Digitalisierung unseres Lebens zunehmend sensible Personendaten generiert. Ein Beispiel ist die Genom-Analyse, die verschiedene Online-Anbieter für wenig Geld durchführen. Zur Zeit hat der Kunde keine Kontrolle darüber, was genau mit seinen Daten passiert. Die Terms of Service sind intransparent oder schwierig zu verstehen. Viele Kunden kümmern sich nicht um das Kleingedruckte. So ist es zum Beispiel unklar, unter welchen Bedingungen der Anbieter 23andme Genomtest-Daten weiterverkaufen könnte. Die Hersteller von Fitness-Trackern kennen die Bewegungsprofile der User im Detail. Was sie mit den Daten machen können, ist vielen Usern nicht klar. Gesundheitsdaten in privaten Gruppen auf Facebook wurden nicht genügend geschützt (Bericht der BBC).
Die Blockchain-Technologie kann dem User die Souveränität über seine Daten – mindestens teilweise – wieder zurückgeben:
Darüber hinaus gibt es in der Pharma-Industrie Use-Cases: Viele Anwender hinterlegen Ergebnisse von klinischen Tests fälschungssicher in der «trustless» Blockchain. So können alle Nutzer sicher sein, dass die Daten nicht verändert wurden.
Diese Use-Cases für Blockchain sind deutlich anspruchsvoller in der Realisierung als zum Beispiel Fintech-Use-Cases auf Basis der Bitcoin-Logik, weil die Blockchain das Problem des Bezugs der Daten zur realen Welt nicht – oder noch nicht – lösen kann. Dass Daten nicht verfälscht wurden, lässt sich mit der Blockchain transparent nachweisen. Ob die Daten die reale Welt korrekt abbilden, hängt dagegen von der Vertrauenswürdigkeit der Personen oder Institutionen ab, die Daten erfassen.
Daten werden auch für den Durchschnittskonsumenten eine zunehmend wichtige Rolle spielen. So ist es denkbar, dass eines Tages keine bezahlbare Versicherung ohne Fitness-Tracker erhältlich sein wird. Smart Homes generieren umfassende Daten von Privathaushalten. Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, dem Misstrauen gegenüber datenbasierten Anwendungen zu begegnen. Gefordert ist in erster Linie eine transparente und verständliche Kommunikation. Dazu muss ein geeignetes Vokabular entwickelt werden. Das Stichwort «Blockchain» ist in diesem Zusammenhang problematisch, weil das Thema in den letzten Jahren zu sehr gehyped wurde.
Die WHO schätzt den jährlichen Wert von gefälschten Medikamenten auf 200 Milliarden US-Dollar, was etwa 10% bis 15% des globalen Marktes für pharmazeutische Produkte entspricht. (Bericht in der Financial Times)
DLT ist ein effizienter Ansatz, um die Authentizität von Medikamenten überprüfbar zu machen. Der Käufer kann einen QR Code auf der Packung scannen, und mit Einträgen auf dem Distributed Ledger abgleichen, um den Ursprung des Produktes zu verifizieren. Die Hersteller nutzen eine gemeinsame Blockchain, um die Lieferkette der Produkte zu überwachen und Qualität und Konsistenz nachzuweisen. Die Herausforderung besteht wiederum darin, wie die Welt der physischen Produkte mit den Daten auf dem Distributed Ledger verknüpft wird. Ein möglicher Ansatz besteht darin, dass neben dem Hersteller ein zweiter, zufällig ausgewählter Verifyer die Korrektheit der erfassten Daten bestätigt.
Der Begriff «Edge-Case» stammt ursprünglich aus der Welt der Programmierung und bezieht sich auf einen Extremwert, der im Algorithmus speziell behandelt werden muss. Übertragen auf die Blockchain hat ein Edge-Case unbekannte, exponentielle Auswirkungen auf ein Geschäftsfeld. So kann die Blockchain-Technologie den Begriff «Gemeinschaft» oder das Konzept «Unternehmen» vollkommen neu definieren. Ein Beispiel dafür ist sind Decentralized Automonous Organizations (DAOs) oder Corporations (DACs). Eine bekannte DAC ist der Exchange Binance. Ein DAO oder DAC ist keine klassische Firma, hat keinen Firmensitz, keinen CEO und keinen Verwaltungsrat. Es kann viele Besitzer, geben, die alle nur einen geringen Betrag investiert haben, und über Tokens am Erfolg Teil haben. Es entsteht eine Art Parallel-Oekonomie, die keiner bestimmten Jurisdiktion zugeordnet werden kann. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind noch wenig erforscht.
Die Anwendung von DLT in neuen Märkten und Geschäftsfeldern hängt auch von der regulatorischen Entwicklung ab. Kleine Jurisdiktionen haben den Vorteil, dass die Hierarchien flach sind, und die Unternehmen im direkten Dialog mit den Behörden kritische Fragen klären können. Dies ist unter anderem in der Schweiz oder in Liechtenstein der Fall. In grossen Ländern, insbesondere den USA, ist dies nicht möglich. In den USA ist die Rechtsicherheit bezüglich Blockchain und Cryptocurrencies limitiert. Trotzdem sind Unternehmen und Start-Ups mit Blockchain vor allem im Silicon Valley aktiv. Sobald die regulatorische Situation klarer ist, werden die USA ein sehr starker Player sein. Der chinesische Staat fördert die Blockchain-Technologie aktiv. Man darf sich vom Verbot des Handels mit Kryptowährungen nicht täuschen lassen.
Blockchain-Technologie wird in Kombination mit Artificial Intelligence, Virtual Reality, Internet of Things und Robotik datengetriebene Edge-Cases hervorbringen. Blockchain macht in der Regel dann Sinn, wenn Micropayments, fälschungssichere Datenhaltung und Transaktionen, oder intelligente Anreizsysteme für einen Use-Case relevant sind.
Entscheidend ist kritisches Denken gegenüber der Anwendung innovativer, digitaler Technologien. Wir müssen zum Beispiel hinterfragen, inwieweit Konzepte der Dezentralisierung, trustless Trust, Automatisierung oder Tokenization von allen möglichen «Assets» auf westlichen Werten basieren, die von anderen Kulturen nicht geteilt werden. Schliesslich beruht trotz der zunehmenden Digitalisierung ein grosser Teil der globalen Wirtschaftsleistung auf materiellen Gütern – wir leben (noch) nicht in einer dematerialisierten Welt.
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