Teslas Autopilot: Top oder flop?
Von Raphael Hardegger, November 18, 2022
Teslas Image spricht eine klare Sprache. Tesla wird weltweit als das disruptive Unternehmen schlechthin dargestellt. Der Tesla Autopilot gilt als die Zukunft des Autofahrens. Doch warum überholen nun europäische Hersteller den amerikanischen Autobauer, obwohl Tesla schon seit über 10 Jahren am Autopiloten arbeitet und die Option «Volles Potenzial für Autonomes Fahren» bereits seit mehreren Jahren anbietet?
«Mercedes schlägt Tesla – bislang fortschrittlichster Autopilot kurz vor Serienreife», so bewirbt das Automagazin «Auto24» die Level-3-Zulassung des Fahrassistenzsystems von Mercedes-Benz. Im Vergleich dazu ist Teslas allseits bekannter Autopilot nur für Level 2 zugelassen – und sogar das wird derzeit durch die US-Transportbehörde «NHTSA» hinterfragt. Da zwölf Fahrzeuge des kalifornischen Autobauers allein in den USA durch angebliche Fehlfunktionen des Fahrassistenzsystems in Unfälle verwickelt waren, wurde am 31. August 2021 sogar eine Untersuchung gegen Tesla gestartet. Gemessen am Level des Fahrassistenzsystems ist Mercedes demnach Tesla voraus. Level 2 bedeutet in diesem Kontext, dass das Fahrzeug teilautomatisiertes Fahren ermöglicht – also z.B. das Fahren auf der Autobahn mithilfe von Spurhalteassistenten und Auffahrtempomaten. Der Fahrer ist dabei jederzeit für das Fahrzeug verantwortlich. Bei Freigabe nach Level 3 hingegen, liegt die Verantwortung nicht mehr beim Fahrer, sondern beim Fahrzeughersteller. Dieses nächste Level des automatisierten Fahrens bringt Einschränkungen mit sich: «Es arbeitet vorerst ausschließlich auf Autobahnen, tätigt keine Spurwechsel, ist ausschließlich bis 60 km/h aktiv, nur bei Tageslicht, nicht in Tunneln sowie Baustellen und nur bei Temperaturen über drei Grad Celsius.», so das Automagazin «Auto, Motor und Sport». Trotz dieser beachtlichen Einschränkungen ist die Tatsache, dass der Hersteller des Fahrzeugs bei einem Unfall die Verantwortung trägt (und nicht wie gewöhnlich der Fahrer), ein Meilenstein für die Automobilbranche.
Regulatorisch ist Mercedes-Benz mit ihren Luxusfahrzeugen der S-Klasse und dem neuen Luxuselektromobil «EQS» dem Mitbewerber Tesla also eindeutig voraus. Doch wo liegen die Unterschiede zwischen den beiden Systemen? Der deutsche Autobau-Pionier schwört auf maximale Technik. So ist bei Mercedes-Benz die Créme de la Créme der Sensorik im Einsatz: ein Lidar-Radar-System, Kameras, Näherungssensoren, Aussenmikrofon (zur Erkennung von Sirenen von Einsatzfahrzeugen), ein Nässesensor im Radkasten und die Kombination mit aktuellen GPS-Kartendaten.
Tesla hingegen will weg von der Komplexität – das Radar-System wird seit Frühling 2021 nicht mehr verbaut. Seither vertraut Tesla auf die acht verbauten Kameras und die 12 Näherungssensoren rund um das Fahrzeug. Mit Künstlicher Intelligenz soll ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil geschaffen werden. Schon seit 2016 sind Teslas Modelle mit den acht Kameras ausgestattet – Tesla sammelt also schon seit sechs Jahren fleissig Daten und optimiert die Algorithmen seither fortlaufend. Nach Aussagen von Elon Musk, Teslas CEO, und Andrej Karpathy, leitender Angestellter in Sachen AI, soll die weltweite Tesla-Flotte schon bald aus über einer Million Fahrzeugen bestehen.
Meine Behauptung: Derzeit ist der Autopilot der Mercedes S-Klasse wohl dem Autopiloten des Tesla Model S überlegen. Mercedes setzt auf teure und maximale Technik und hat damit Erfolg (in Bezug auf das autonome Fahren). Tesla hingegen setzt auf Künstliche Intelligenz und nicht auf den Einsatz von Radar. Der Autopilot wird zwar fortlaufend besser, trotzdem gibt es Nachteile gegenüber radarbasierten Systemen. Doch wie sieht es in fünf Jahren aus? Künstliche Intelligenz, genauer gesagt die Machine-Learning-Algorithmen von Tesla, brauchen Trainingsdaten – viele Trainingsdaten. Eine Flotte einer Million Fahrzeuge schafft dafür eine solide Grundlage. Dies war seit Beginn Teslas Strategie: Tesla stattet das günstigste Model 3 mit dem selben Autopilot-System wie das High-End Model X aus. Bei Mercedes-Benz ist das Level-3-System bisher nur in den teuersten Modellen verbaut.
Zudem hat Tesla einen ausgeklügelten Weg, um die enorme Anzahl an Daten der riesigen Flotte effizient verarbeiten zu können. So werden nicht, wie man als Laie vermuten könnte, sämtliche Videoausschnitte der acht Kameras an einen zentralen Server geschickt und dort verarbeitet. Vielmehr werden Teslas Machine-Learning-Algorithmen bei jedem Fahrzeug durch die eigenen Erfahrungen optimiert. Tesla transferiert sämtliche Kamerabilder in Echtzeit in die sogenannte «Vector Space». Das hört sich relativ einfach und logisch an, die technische Umsetzung ist aber höchst komplex. Eine geniale Erklärung dazu wurde am Tesla AI-Day vorgestellt. Die optimierten, fahrzeugspezifischen Algorithmen werden in definierten Intervallen, z.B. einmal täglich, auf Teslas Server hochgeladen, wo wiederum das «Hauptmodell» trainiert wird. Diese Optimierungen fliessen dann in sämtliche Tesla-Modelle ein. Dieses Verfahren wird «Federated Learning» genannt.
Teslas Autopilot mag derzeit noch nicht perfekt sein, doch in Anbetracht des Tesla-Kaufbooms und der stetig ansteigenden, unglaublichen Anzahl an Trainingsdaten, bin ich davon überzeugt, dass Tesla schon bald sämtliche Autobauer in Bezug auf die Qualität des autonomen Fahrsystems weit hinter sich lässt.
Auto24 (2022): Mercedes schlägt Tesla – bislang fortschrittlichster Autopilot kurz vor Serienreife
NHTSA (2021): Brief an Mr. Gates, Tesla
Auto Motor und Sport (2022): Mercedes mit Level-3-Zulassung
Mercedes-Benz (2021): Erste international gültige Systemgenehmigung für hochautomatisiertes Fahren
Tesla (2021): Tesla AI Day
Louis Bouchard (2021): Tesla Autopilot explained
Dieser Fachbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS AI Management verfasst und wurde redaktionell aufgearbeitet.
Unser Newsletter liefert dir brandaktuelle News, Insights aus unseren Studiengängen, inspirierende Tech- & Business-Events und spannende Job- und Projektausschreibungen, die die digitale Welt bewegen.