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Psychologische Chancen und Fallen der Sozialen Medien

September 11, 2017

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Aus dem Unterricht des CAS Social Media Management mit Philippe Wampfler zum Thema “Psychologie im Social Web” berichtet Yvonne Leuthard:

Ziel dieses spannenden Kursthemas war es, einerseits eine psychologische Perspektive der Sozialen Medien zu gewinnen und zum anderen verschiedene Konzepte in der Social Media-Praxis wahrzunehmen und anwenden zu können. Philippe Wampfler, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien, hat mit einfachen Erklärungen komplexe Verhältnismässigkeiten und Gesetze der Sozialen Medien erklärt.

Wer sind wir IRL (in real life) und wer sind wir im digitalen Leben? Sind wir wirklich wir im Social Web oder sind wir alle Teil unserer eigenen Image-Kampagne? Wieviel von uns ist Eigenmarketing und wieviel sind wir bereit, davon öffentlich zu vermarkten? Und macht uns das wirklich glücklicher?

Wer sich aufs Parket der Sozialen Medien wagt, gibt sich der vollen Bandbreite aller menschlichen Gefühlen preis – Freundschaft, Liebe, Neid, Lächerlichkeit, Schadenfreude usw. Jedoch gilt es nicht zu vergessen, dass es nicht die Sozialen Medien sind, die Freude und Schaden verursachen, sondern die Menschen, die sie benutzen.

Wieviel von unserem Image auf dem Social Web entsteht jedoch ganz bewusst aus Eigeninitiative und wieviel unterliegt der Affordanz der Sozialen Medien?

Affordanz als Instrument der Strategie-Entwicklung

Der Begriff Affordanz erklärt eine wichtige grundlegende Gesetzmässigkeit der Sozialen Medien. Die Affordanz beschreibt die Vorteilhaftigkeit eines Instruments, das eine Handlung leichter macht. In einem weitläufigeren Verständnis ist die Affordanz der sozialen Medien der unbewusste Anreiz, der uns veranlasst, eine gewisse Handlung vorzunehmen oder gewisse Funktionalitäten diese Sozialen Medium zu nutzen. So ist die Affordanz von Snapchat, dass unser Post oder unsere Story nur kurzzeitig lebt und nicht gespeichert werden kann. Philippe Wampfler nennt die amerikanische Medienwissenschaftlerin und Sozialforscherin als Expertin auf diesem Gebiet: http://www.danah.org/papers/2010/SNSasNetworkedPublics.pdf

Affordanzen können helfen, soziale Strategien gezielt zu entwickeln und Risikomanagement zu betreiben, sei es als Unternehmen oder als Privatperson. Doch wie wichtig ist sind Affordanzen für die Aufstellung einer Social Media Strategie für ein Unternehmen? Sollte jeder Social Media-Kanal separat geplant werden, um die jeweilige Affordanz voll auszunutzen oder ist es klüger, eine Gesamtstrategie zu machen? Philippe Wampfler erklärt: «Eine Gesamtstrategie ist sicher das richtige Vorgehen – in ihr müssen aber die Affordanzen der jeweiligen Kanäle sorgfältig berücksichtigt werden. Das beginnt schon bei trivialen, aber aufwendigen Fragen wie den richtigen Bildgrössen und -formaten: Das hat einen massiven Einfluss auf die Wirkung. Aber auch die Länge der Texte, die Erwartungen an die Reaktionen von Kundinnen und Kunden und die Form der Interaktion sind von Kanal zu Kanal unterschiedlich.»

Bei der Aufstellung einer Social Media Strategie basierend auf den Affordanzen ist es sicher grundlegend, die verschiedenen Nutzungstypen der Sozialen Medien anzuschauen. Soziale Schichten (Unter-, Mittel-, und Oberschicht) aber auch individuelle Grundorientierungen spielen eine entschiedene Rolle für oder gegen die Nutzung eines Sozialen Mediums. Hinzu kommt, dass der digitale Entwicklungsstatus (Digital Native, Digital Immigrant oder Digital Outsider) gewisse Voraussetzungen für die Nutzung setzt. Jugendliche nutzen soziale Medien, um sich von Erwachsenen und Autoritätspersonen abzugrenzen. Doch je alter sie werden desto mehr vermischt sich ihr Konsumentenverhalten mit demjenigen der Erwachsenen.

Erst wenn ein Unternehmen mit den verschiedenen Nutzerprofilen vertraut ist, kann es auch eine effektive, zielgerichtete SM-Kampagne ohne Streuverlust generieren. Verschieden Zielgruppen haben verschiedene soziale Wertschätzungen für die SM-Kanäle.

 

Absurdistan im Web

Das Social Scoring ist ein Beispiel dafür, wenn die Affordanz absurde und man möchte behaupten gefährliche Ausmasse annimmt. Philippe Wampfler nennt hier die App Peeple als gutes Beispiel. Im besten Fall trägt Social Scoring dazu bei, das Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen zu steigern, da totale Transparenz herrscht. Das soziale und moralische Verhalten einer Gesellschaft soll so reguliert werden. So viel Transparenz lädt die Gesellschaft jedoch dazu ein, andere zu klassifizieren, zu ächten (public shaming) und schliesslich auszugrenzen. Menschen, die öffentlich gegen einen allgemein akzeptierten Verhaltenscode verstossen, werden (zu Recht oder zu Unrecht) öffentlich der Schande preisgegeben. Dies betrifft natürlich auch und vor allem Unternehmen, das Phänomen ist bekannt als Shitstorm.

Twitter Screenshot Peeple-app

Peeple App

 

Was für Auswirkungen haben die digitalen Medien auf uns?

Philippe Wampfler hat 12 psychologische Konzepte vorgestellt, die sich mit diesen Fragen befassen und deren sich ein Unternehmen bewusst sein sollte, um bei der Aufstellung einer Strategie nicht in psychologische Social Media-Fallen zu tappen. Ein wichtiges Konzept um eine erfolgreiche SM-Präsenz aufzubauen ist die Aufmerksamkeitsökonomie. Beachtung, Visibilität ist ein kostbares Gut. Ist der Fokus auf uns gerichtet, ist er nicht auf eine andere Marke gerichtet.

„Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.“

– Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998

http://www.deutschlandfunk.de/oekonomie-der-aufmerksamkeit.700.de.html?dram:article_id=80967

Doch wie omnipräsent sollte ein Unternehmen auf dem Web sein, ohne eine Übersättigung zu riskieren und an der Aufmerksamkeitsökonomie zu scheitern? Philippe Wampfler hierzu: «Das hängt sicher von den Zielen und dem Geschäftsbereich ab – aber auch von den Inhalten, mit denen man Aufmerksamkeit generiert. Wer Aufmerksamkeit investiert, erwartet einen Return: Erfolgt er, lohnt sich die Investition für alle Beteiligten.»

Wie also erwirtschaftet man diese rare Gut «Aufmerksamkeit»? Ein Social Media-Strategie muss immer im richtigen Kontext stehen. Ein Unternehmen kann nicht seine eigene Unternehmenskultur oder einen gewissen Verhaltenskodex eines Social Media-Kanals ignorieren, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Dies führt zu Unglaubwürdigkeit und schliesslich zur Abwertung einer Marke.

Positive Nachrichten ziehen in den Sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit und Follower auf sich als Negativität. Sie lösen selten negative Kommentare aus und lassen den positiven Follower (I LIKE!)  gegenüber seinem Netzwerk selbst positiver wirken. Es kommt hinzu, dass wir ganz unterbewusst Informationen so auswählen, dass sie unsere eigene Haltung oder Meinung reflektieren, dieses Phänomen ist bekannt als Confirmation Bias.

Im Auge des Sturms

Warnschild Shitstorm

Brace for impact! Shitstorm ahead.

Die Angst vor einem Shitstorm ist in jedem Unternehmen Thema. Wie geht man mit Internettrollen um? Das Risiko, als Unternehmen einen Shitstorm zu kassieren, hat laut Philippe Wampfler aber massiv abgenommen, da Unternehmen inzwischen professionell und informiert mit den Sozialen Medien umgehen und korrekt und responsive kommunizieren. Erkannt wurde inzwischen auch, dass das sogenannte Schwarmverhalten, das Shitstorms auslösen soll, ein Mythos sind. Oft stecken Influencer mit vielen Followern hinter Shitstorm-Kampagnen. Wie man dem begegnen kann darüber gibt auch ein interessanter Artikel der NZZ Auskunft.

https://www.nzz.ch/wirtschaft/shitstorms-gut-ist-wenn-das-unternehmen-falsch-reagiert-ld.104332

Unkluges Verhalten rächt sich aber nach wie vor an einem Unternehmen. Werden beispielsweise unangenehme Bilder einfach gelöscht, kann ein Streisand-Effekt entstehen. Das Bild zieht durch das heimliche Löschen öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und geht “viral”.

Kritik an den Sozialen Medien

Die Sozialen Medien haben den Ruf, Narzissmus zu fördern. Paradoxerweise ist Narzissmus vor allem für Erwachsene (Altersgruppen, die im Jahr 2000 Jugendliche waren) ein grosser Faktor für Social Media Aktivität. Viel öfters als bei den Millenials sind extrinsische Motivationsgründe (den Wunsch nach Belohnung, Anerkennung, Imagepolitur) die Motivation für einen Instagram-Account mit über 40 oder 50. Die Kritik an SM als Narzissmus-Medium kommt aber immer von Erwachsenen.

Digitale Medien haben auch den Ruf, problematische Verhaltensmuster auszulösen wie Essstörungen, Stress, Depressionen, hervorgerufen von problematischer Mediennutzung. Laut Philippe Wampfler sind digitale Medien jedoch nur die Verstärkung eines bereits vorhandenen problematischen Verhaltens, nicht aber der Auslöser. Viele User sind resilient gegenüber negativen Einflüssen der digitalen Medien, warum ist nicht eindeutig von der Psychologie erklärt.

Die grosse Frage, die sich stellt bei der heute intensiven Nutzung der Social Media ist; machen uns die sozialen Medien nun glücklicher oder unglücklicher? Verschiedene Studien zeigen, dass die Sozialen Medien uns zumindest nicht unglücklicher machen. Laut Philippe Wampfler gibt es zahlreiche Studien zu dieser Frage. Aber vieles, was in Studien publiziert wird, ist nicht wiederholbar oder überprüfbar. Daher ist die Verlässlichkeit dieser Studien nicht unumstritten.

 

Einen interessanten Artikel, den Philippe Wampfler hierzu empfiehlt, ist der Artikel von Jean M. Twenge “Have Smartphones Destroyed a Generation?”, publiziert auf The Atlantic Daily.com. https://www.theatlantic.com/amp/article/534198/

Vielen Dank für den spannenden Nachmittag, Philippe. I LIKE!

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