Mobile Menschen, mobile Gebäude, mobile Services am Beispiel der SBB
Oktober 7, 2018
Oktober 7, 2018
Aus dem Unterricht des CAS Digital Real Estate mit Jürg Stöckli berichtet Giusi Bilotta:
Jürg Stöckli, Noch-CEO von SBB Immobilien, empfängt uns im LAB100 an der Europaallee und berichtet einen halben Tag lang sehr praxisnah was die SBB bzgl. Digitalisierung in den letzten Jahren unternommen hat und wie sie die Mobilität der Zukunft aussehen wird.
Bevor in die Inhalte der Präsentation eingestiegen wird, gibt es ein umfangreiches und interessantes Intro/War-Up von Jürg.
Zuerst erhalten wir ein paar Informationen zur Europaallee. Diese wurde in mehreren Etappen, über einen Zeitraum von über 12 Jahren, realisiert. Auf einer 80’000 m2 grossen Fläche entstand ein neuer Stadtteil. Das Konzept sieht im Parterre günstige, eher kleinere Gewerbeflächen vor, um damit einen interessanten Gewerbemix zu erreichen. In den oberen Stockwerken befinden sich teure Büroflächen die an grössere Unternehmen vermietet werden, sowie auch private Wohnungen. So mietet Google zum Beispiel ganze 50’000 m2 an der Europaallee. Aufgrund der Nähe zu ETH und Uni (Quelle für Hochschulabgänger), wurde Zürich zum grössten Standort ausserhalb St. Fransiscos. Googlemaps, Youtube oder Postmail werden in Zürich entwickelt.
Grundsätzlich ist es nicht so, dass alles digitalisiert werden muss, um erfolgreich zu sein. Es gibt Gegentrends zur Digitalisierung, die in der Entwicklung von Geschäftsideen zwingend beachtet werden müssen. Bspw. wird in der Werbung festgestellt, dass neben der digitalen Werbung die Plakatwerbung diejenige Werbung ist, die am meisten wächst.
Jürg erzählt uns von seinem grössten gescheiterten Projekt, dem Speedy-Shop. Auch aus einem persönlichen Bedürfnis heraus entstand die Idee, dass SBB-Kunden auf dem Weg von Bern nach Zürich bis Olten eine Lebensmittel-Bestellung absetzen konnten und 30 Minuten später die Ware abholbereit im HB Zürich zur Verfügung stand. Das Projekt scheiterte, an der Unterlassung, die Kunden richtig mit einzubeziehen. Es wurde keine repräsentative Testkundengruppe definiert, um die mit dem Projekt verfolgten Ziele zu prüfen. Heute stellt man fest, dass Kunden ein Problem mit dem Online-Einkauf von Lebensmitteln haben (nur 2-3% des gesamten Online-Einkaufs). Der Online-Einkauf boomt im Non-Food-Bereich. Hinzu kommt, dass das Just-in-Time-Bedürfnis gross ist wie auch die Abdeckung von Food-Läden. So erstaunt es nicht, dass Retailflächen im Foodbereich stark wachsen (+7-8%) jedoch im Non-Food-Bereich, z.B. Buchhandel oder Elektronik, stark zurückgehen (-7%).
Es sind neue, innovative Modelle gefragt wie bspw. bei Orell Füssli. Mit dem eReader werden on- und offline Produkte geschickt kombiniert. Der physische Shop wird zur Erlebniszone (u.a. Kaffee, Lesungen/Events). U.a. misst Orell Füssli, wie viele Leute in den Shop gehen und nichts kaufen.
Ein weiterer spürbarer Trend sind die sinkenden Umsätze in den peripheren Shopping-Centren (mittlerweile sogar auch im Glattzentrum). An Verkehrsknotenpunkten (Flughäfen/Bahnhöfen) steigen die Umsätze dafür, was für die SBB weiteres Potenzial und positive Perspektiven bedeutet. In Japan ist man bereits so weit, dass die Züge aus Immobilienerträgen finanziert werden.
An den Bahnhöfen vermietet die SBB die Retailflächen nach dem Mindestmiete- (80%) resp. Umsatzmiete-Ansatz, flexibel, je nach Branche. Im Vordergrund steht der optimale Mietermix. In der Foodbranche bspw. werden die tiefsten Margen erzielt und daher auch die tiefsten Mieten verlangt. Ausnahme ist der Brezelkönig, der auf sehr wenig Fläche einen sehr grossen Umsatz schafft. Der Erfolg des Brezelkönigs beruht auf folgenden Punkten:
Die SBB in Zahlen:
Der Mobilitätsmarkt wächst, ist aber zunehmend mit Unsicherheiten, wie Fernbusse (in CH 4-10% auf Fernstrecken; in D 15-20%), selbstfahrende Fahrzeuge (u.a. Platooning im Güterverkehr), Mobilitätsverhalten/-nachfrage (u.a. Sharing), neue Preissysteme etc. behaftet. Die Mobilität steht vor einem tiefgreifenden Wandel!
Einer der grössten Herausforderungen der SBB im Transformationsprozess ist die langjährige Zugehörigkeit der MA zum Unternehmen. Die durchschnittliche Anstellungsdauer beträgt 18.5 Jahre! Change/Transformation zu schaffen ist schwierig, daher werden u.a. auch interne Imagefilme produziert. Das Programm “Transformations-Analyse” (Fokus 5-7 Jahre), mit dem Ziel eine Kulturveränderung bei der Belegschaft herbeizuführen, wurde lanciert. Dabei soll herausgefunden werden, wo die SBB heute steht und was für Lücken bestehen, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern zu können.
Die für die gesamte SBB gültige Vision lautet:
Die daraus abgeleitete Strategie, welche sich auf die drei Pfeiler «Vertrauenswürdiger Mobilitätsdienstleister», «Starke Eisenbahn» und «Attraktiver Entwicklungspartner» abstützt lautet:
Die SBB strebt die Entwicklung einer Plattform/eines Oekosystems rund um die App/Homepage/Betriebssystem und Partner (Mobility, etc.) an, um die Strategie umzusetzen (Plattformen sind stärker als Produkte!). Als grösster Konkurrent wird dabei Google betrachtet.
Um Entwicklungen voranzutreiben und um zumindest teilweise das traditionelle Geschäft zu «disruptivieren», wurde eine neue Organisationseinheit ausserhalb des traditionellen Geschäfts gebildet und mit entsprechenden Kompetenzen und Budget sowie einer gewissen Freiheit ausgestattet. U.a. denkt man (zusammen mit einem Partner) über Lösungen mit selbstfliegenden Flugobjekten nach.
Ein neues Produkt, welches die Tür-zu-Tür Reise ermöglicht ist SBB Green Class. Dessen Kernidee ist, dass kurze Strecken mit dem Auto und lange Strecken mit dem Zug absolviert werden sollen. Abhängig vom gewählten Auto und Zugabonnement belaufen sich die Kosten auf pauschal 15’000 bis 24’000.- pro Person und Jahr. Bisher machen 400 Kunden davon Gebrauch (2018).
Für die digitale Transformation braucht es Transparenz. Die Bewertung der digitalen Reife hilft, den Wandel zu fördern. Ein klar definierter Innovationsprozess ermöglicht es, Ideen und Geschäftsmodelle systematisch zu beurteilen und dadurch dort wo es nicht passt auch schnell zu scheitern (Q-Gates). Ein gutes Geschäftsmodell ist für den Erfolg zentral (Was ist der Mehrwert resp. wieso/wofür bezahlt der Kunde?). Weitere Erfolgsfaktoren sind: Projektressourcen bündeln und aus dem Tagesgeschäft herausnehmen, Pilotversuche/Tests mit Einbezug von Kunden durchführen sowie Sponsoren aus der Linie finden (z.B. Übung mit GL durchführen (wer kann mein Geschäftsmodell «disruptivieren»? (Krähenspiel)) oder Studienreisen mit Entscheidungsträgern unternehmen).
Aus Kundensicht: Die SBB App. Sie ist heute unter den Top 5 Apps in der Schweiz (Bem.: Eine relevante App hat mindestens 50’000 User ). SBB Immobilien hat es geschafft, innerhalb von 8 Jahren eine Übersichtsseite der Bahnhöfe mit 250’000 Usern zu einem standortbezogenen digitalen Kanalmix mit 3.5 Mio. Usern zu entwickeln.
Aus Mitarbeitersicht: Mobile Connectivity. Digitale Kommunikation über alle Abteilungen. Alle 33’000 MA sind heute digital verbunden (d.h. u.a. papierlos seit 2015, Desk Sharing und optimierte FM-Planung (Touren) bei SBB Immobilien).
Das Credo der SBB zur digitalen Transformation lautet:
Die SBB Immobilien wird über 3 Portfolios gesteuert: Portfolio Bahnhöfe (rund 820 Bahnhöfe und Haltestellen), Portfolio Anlageobjekte (aktuell rund 67 im Bestand und 28 in Planung bzw. Errichtung) und Portfolio Bahnproduktion (rund 280 eigengenutzte Gebäude und Flächen).
Ein grundsätzliches Problem in der Immobilienbranche im Zusammenhang mit der Digitalisierung sind die fehlenden Daten, da keine Standards vorhanden sind und folglich nicht umgesetzt werden. Es gibt keine Kultur der Datenpflege (auch bei SBB Immobilien nicht). Bei den Daten gilt es den Fokus aufs Wesentliche zu legen (80/20) aber dafür radikal und konsequent! Besser wenige Key Performance Indicators (KPI’s), dafür korrekte Werte verbunden mit einem angemessenen und konsequenten Pflegeaufwand. Viele wissen zudem nicht wie mit (Kunden-) Daten umgegangen werden soll (Umfragen haben ergeben, dass 80-90% der Kunden bereit sind ihre Daten zur Verfügung zu stellen!).
Aktuell bearbeitet SBB Immobilien in diverse Innovationsfelder:
Smart City – Konzepte sind zuerst in Asien aufgrund des dort herrschenden Platzmangels entstanden. Sie zielen darauf ab, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozialer zu gestalten. Auch Estland ist führend im Bereich Smart City. Die fortschreitende Urbanisierung (im Jahr 2100 wird eine Erdbevölkerung von 11 Mrd. Menschen prognostiziert, 70% davon sollen in Städten leben) erhöhen die Bedeutung von Smart City – Konzepten zunehmend.
Die SBB besitzt viel Land und möchte das Thema stark beeinflussen/prägen. D.h. Konzepte entwickeln, welche eine maximale Lebensqualität bei minimalen Ressourcenverbrauch mittels intelligenter Verknüpfung von Infrastrukturen (Transport, Energie, Kommunikation etc.) auf unterschiedlichen Massstäben (Gebäude, Quartier, Stadt) ermöglichen.
Die SBB Immobilien lehnt sich dabei am Ansatz von Prof. Cohen an (Smart City Wheel) und hat daraus die für sie relevanten Schwerpunkte festgelegt.
Smart bedeutet dabei, partnerschaftlich und siloübergreifend die Lösungsentwicklung vernetzt zu betrachten (und nicht mehr isoliert).
Der Einsatz von BIM-Technologie ermöglicht es «Digital Twins» der Gebäude zu erstellen. Damit lassen sich Vorteile in Planung und Realisierung und v.a. im Betrieb nutzen. Es bestehen grosse Einsparpotenziale bzgl. Effizienzsteigerung (3.25 Mrd./Jahr), Fehlerreduktion (1.6 Mrd./Jahr) und CO2 -Reduktion (15%).
Ab 2021 wird die SBB in Hochbauprojekten und ab 2025 in Tiefbauprojekten die BIM-Technologie durchgehend verlangen resp. einsetzen. Bis es soweit ist, gilt es diverse Herausforderungen zu meistern, u.a. die Überführung der Daten in den Betrieb. Das GU-Model könnte durch BIM in Bedrängnis geraten.
Die Qualität eines Projektes definiert sich stark über die Aussenflächen. Dazu ist der Dialog mit der Bevölkerung entscheidend. D.h. es sind Räume notwendig (Smart City Lab), die einen solchen Dialog ermöglichen (Co-Working-, Event- oder Event-Spaces und Gastronomie). Siehe Projekt Wolf in Basel.
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