Künstliche Intelligenz – Marketing oder Game Changer?
September 11, 2017
Aus dem Unterricht des CAS Digital Finance mit Pascal Kaufmann (Founder und CEO von Starmind) berichtet Christian Zeder.
Bereits bei der Suche nach der Definition von KI, auch Artificial Intelligence (AI) genannt, wird es schwierig. Ein Erklärungsversuch ist, dass eine Maschine erst dann intelligent ist, wenn sie alle Facetten abbilden kann, die uns Menschen als Ganzes ausmachen. Einzelne Eigenschaften künstlich zu verbessern ist bereits möglich, alle zu vereinen jedoch nicht. Beispielsweise kann ein Roboter rennen, einen Fussball wegschlagen oder sogar jubeln wenn das runde Leder ins Tor geht. Aber können elf Roboter als Team in einem Fussballspiel so gut zusammen harmonieren, dass sie die Schweizer Nationalmannschaft auf dem Rasen schlagen? Aktuell nicht, aber genau das würde künstlicher Intelligenz sehr nahe kommen.
Das Knacken vom Braincode sieht Kaufmann als Basis für diesen Durchbruch. Darunter ist zu verstehen, dass das Prinzip vom Hirn herausgefunden werden muss. Es ist nicht nötig das extrem komplexe Hirn als Ganzes zu verstehen oder gar nachzubauen, stattdessen kann bereits das Erkennen der Grundprinzipien reichen um den Braincode zu ermitteln. Ob die Lösung aus nur zwei, drei oder tausenden Erkenntnissen besteht ist dabei noch völlig offen.
Trotz dieser Ernüchterung über Artificial Intelligence ist es momentan im Finanz- und Versicherungsumfeld in aller Munde. Primär hat das aber weniger mit künstlicher Intelligenz zu tun als vielmehr mit Machine Learning (ML) und Deep Learning (DL). Zwei Teilgebiete der künstlichen Intelligenz, die stark mathematisch abgestützt und nur beschränkt intelligent sind. Dennoch sind deren Ergebnisse vielversprechend und der Wirbel grundsätzlich gerechtfertigt.
Ein Blick auf Google Trends zeigt, dass das Verhältnis von Suchanfragen zu den Themen AI, ML oder DL über die letzten 5 Jahre insbesondere im letzten Jahr stark zugenommen haben. Ebenfalls ist ersichtlich, dass Machine Learning als klarer Publikumsliebling heraussticht. Künstliche Intelligenz ist aus sprachlichen Gründen abgeschlagen.
Dass sämtliche Begriffe aber noch weit weg vom Mainstream sind, zeigt ein nicht ganz ernst gemeinter Vergleich mit der Suche nach Cristiano Ronaldo. Die Welt interessiert sich scheinbar doch noch deutlich mehr für einen einzelnen Fussballer, im Vergleich zur kaum sichtbaren gelben Linie von Machine Learning.
A computer program is said to learn from experience E with respect to some class of tasks T and performance measure P, if its performance at tasks in T, as measured by P improves with experience E.
Tom M. Mitchell 1997
Diese Definition von Machine Learning bedeutet sehr frei übersetzt: «Übung macht den Meister». Ein Computer baut selbstständig Wissen auf Grund von Erfahrungen auf. Aus diesen Resultaten findet er Lösungen für neue Probleme. Bessere Algorithmen und noch mehr Erfahrungswerte helfen dem Computer zusätzlich dabei dieses Modell besser werden zu lassen und damit genauere Lösungen zu finden. Während Machine Learning schon Jahrzehnte bekannt ist, ermöglichen erst heutige Technologien (z.B. bessere Rechnerleistungen) die zunehmende Verbreitung im Unternehmensumfeld.
Machine Learning hat das Potential viel Disruption auszulösen. Ein Einsatz sollte speziell in folgenden Situationen geprüft werden:
Ein Beispiel wo es heute bereits erfolgreich eingesetzt wird ist Fraud Detection. Kontobewegungen werden dabei auf Missbrauchsfälle geprüft. Die einzelnen Regeln für eine solche Prüfung sind verhältnismässig einfach zu entwickeln. Die immense Menge von notwendigen Regeln machen ML aber aus Skalierungssicht interessant. Es gibt unzählige weitere Anwendungsfälle im Finanzumfeld. Einige davon sind die automatische Vermögensverwaltung, die Ermittlung von Kreditrisiken, die orts- und zeitunabhängige Kundenberatung oder auch im Bereich der Compliance.
Unter Deep Learning kann man ein sehr mächtiges Teilgebiet von Machine Learning verstehen. Mit Hilfe von künstlichen neuronalen Netzen versetzt sich die Maschine selbst in die Lage, Muster zu erkennen, diese zu evaluieren und sich iterativ selbständig zu verbessern.
Auch dieser Ansatz ist nicht neu, jedoch haben 60 Jahre Forschung, gewaltige Investitionen und enorme Fortschritte bei der Leistung von Computern komplett neue Dimensionen ermöglicht.
Deep Learning wird dann interessant, wenn die Problemlösung sehr komplex ist. Die Sprach- oder Bilderkennung durch Computer sind zwei aktuelle Beispiele, die bereits ordentlich funktionieren. Allein diese zwei Gebiete können Prozesse optimieren oder neue Businessmodelle ermöglichen.
Viele Unternehmen sind bislang skeptisch solche Mittel produktiv einzusetzen. Zu unbekannt sind die Auswirkungen abseits der Technologien. Zum Beispiel wie Kunden reagieren, wenn ein Chatbot so gute Antworten liefert, dass er nicht mehr von einem Menschen unterschieden werden kann. Löst das nicht eher Ängste aus? Aus Animationsfilmen ist bekannt, dass zu menschenähnliche Figuren abschreckend wirken. Entsprechend konzentriert man sich dort auf extrem realistische Umgebungen. Wie sich das bei Chatbots verhält steht in den Sternen. Auch gesellschaftliche, ethische oder rechtliche Fragen sind aktuell noch weit weniger geklärt wie Technisches.
Eine echte künstliche Intelligenz existiert bis anhin nicht, obwohl sie im Finanzumfeld regelmässig als Verkaufsargument hervorgebracht wird. Die Realität zeigt bereits eine Vielzahl von Projekten rund um Machine Learning. Wie viel davon nur auscodierte Regeln und geschicktes Marketing ist, oder wo bereits selbstlernende Systeme vorhanden sind, lässt sich nicht pauschal sagen. Das Potential um bestehende Geschäftsmodelle zu verbessern oder Neue zu schaffen ist definitiv vorhanden, auch wenn der Schritt zur echten künstlichen Intelligenz noch bevorsteht.
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