Kann guter Journalismus ohne Mensch gemacht werden?
Januar 9, 2018
Aus dem Unterricht des CAS Disruptive Technologies mit Michael Marti berichtet Barbara Sulzer.
Am Beispiel vom Tages Anzeiger zeigt Michael Marti die Geschichte des Journalismus – von den goldenen Jahren bis hin zur digitalen Disruption.
Der Tagi wurde 1893 gegründet und bereits zu dieser Zeit war der Inseraten Verkauf die Geldmaschine des Journalismus. Die Nachfrage nach Inseraten stieg stetig und entsprechend konnten ab 1970 neue Formate wie die Sonntags Zeitung und verschiedene Magazine auf den Markt gebracht werden. Im Jahr 2003 tätigte die Tamedia Gruppe die wahrscheinlich wichtigste Investition und kaufte 20Minuten. Die Verknüpfung von Online und Print wurde bei 20Minuten von Anfang an sehr gut gemacht. Hier gilt klar das Prinzip digital first. Alle Artikel werden zuerst online verfasst, so kann direkt getestet werden, welche dieser Beiträge ankommen und Klicks erhalten und diese schaffen es dann entsprechend in die Printausgabe. Heute fokussiert die Tamedia Gruppe, wie die meisten Medienhäuser, die Investitionen auf neue digitale Geschäftsmodelle.
Zeitungen und Journalisten lebten lange sehr gut durch den Verkauf von Werbung. Dies hat sich durch das Internet total verändert. Die Zeitungsbranche wurde disruptiert, denn heute ist jeder ein Reporter, der im Besitz eines Smartphones ist.
Eindrücklich ist die rapide Veränderung auf den Bildern der Papstwahl 2005 und 2013 zu sehen.
Waren im Jahr 2005 nur sehr vereinzelt Handys im Publikum zu sehen, hat sich dies in nur gerade 8 Jahren total verändert und praktisch das ganze Publikum macht Fotos und Videos der Zeremonie.
Nur 3 Jahre später, 2016 bei der US-Präsidentenwahl wollte niemand nur ein Foto von Hillary Clinton, nein, alle wollten ein Selfie zusammen mit ihr machen.
Das Konsumverhalten hat sich verändert. Heute schaut man TV und gleichzeitig ist man mit seinem Handy online. Und die nächste Generation schaut gar kein TV mehr. Ebenfalls verändert sich die online Konsultation von Medien, immer mehr wird direkt auf Social Media konsumiert.
Die Frage stellt sich für Medienunternehmen, wieso ist der Kunde bereit für ein Netflix-Abo zu bezahlen, jedoch nicht für einen Zeitungsartikel? Hier müssen Medienhäuser neue Wege finden und auch besser wissen, was der Kunde genau möchte.
Beispielsweise helfen dem Journalisten Instrumente wie Klick-Raten und Kommentare. Alleine beim Tages Anzeiger gehen täglich rund 5000 Kommentare ein, welche ausgewertet und freigeschalten werden müssen. Hierfür hilft dem Menschen bereits die Maschine, in dem es Ratings gibt für die Personen, welche Kommentare abgeben und verdächtige Worte können durch den Computer viel schneller rausgefiltert werden, als durch den Menschen.
Bei den Klick-Raten sieht man direkt welche Artikel ankommen, trotzdem ist es die Pflicht eines Mediums auch weiter über gesellschaftliche Themen wie Krieg und Flüchtlinge zu berichten, auch wenn diese Artikel nicht so viele Klicks erhalten.
Ursprünglich wurde gedacht, die Werbeeinnahmen können einfach von Print auf Online umgeshiftet werden, dies hat aber nicht funktioniert. Heute geht man von der Formel aus, dass pro $6.- die im Print verloren gehen nur $ 1.- Online wieder generiert wird.
Aus diesem Grund haben praktisch alle Medienhäuser Paywalls eingeführt. Von ursprünglich 40 gratis Artikeln pro Monat hat dies der Tagi nun auf 10 Artikel runter geschraubt, so gelangen ca. 15% der Leser zur Paywall.
Es zeigt sich auch immer mehr, dass der Konsument sich seinen Inhalt selber zusammenstellen möchte und nicht nur Artikel aus einem Medium lesen will. Hier fehlen jedoch die gemeinsamen Plattformen und ein einheitliches Bezahlungssystem.
Es braucht nicht nur neue Produkte und Technologien, um eine neue Zielgruppen zu erreichen. Viel mehr muss den Medienhäusern bewusst werden, dass ihre grösste Konkurrenz Youtube, Instagram und Facebook sind. Um mit diesen Giganten mithalten zu können, braucht es auch neue Formen von Journalismus.
Durch die Lancierung des Projekts 12App hat Tamedia versucht, ein neues Format zu erstellen. Täglich um 12 Uhr erhält der Leser 12 Artikel aus dem Portfolio von Tamedia. Es handelt sich um bereits vorhanden Kontent von Annabelle, Tages Anzeiger bis hin zur Sonntags Zeitung. Dieser wird nur noch neu für das online Format aufbereitet. Leser können die Artikel bewerten und entsprechend werden nächste Artikel ausgewählt.
Hier stellt sich nun die Frage, kann diese Auswahl der Artikel nicht auch ein Algorithmus vornehmen? Mit dieser Frage hat das Projekt Octopus gestartet. Octopus ist ein Algorithmus, welcher auf die DNA der beliebten Artikel programmiert ist. Täglich werden rund 400 Stories gescannt und daraus wird für den Redaktor eine Liste von 10 Artikeln generiert.
Von diesen 10 Artikeln können effektiv nur rund 50% verwendet werden. Dies aus dem Grund, dass Artikel oft gut geschrieben sind, aber zu regional sind, oder zu viel Ähnlichkeit mit einem Artikel vom Vortag aufweisen.
Fazit: der Computer bzw. ein Algorithmus kann den Menschen unterstützen und bringt sicherlich eine Zeiteinsparung. Er übernimmt jedoch nicht die Arbeit des Menschen und kann zumindest heute “noch” keinen guten Journalismus ohne Hilfe des Menschen machen.
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