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Initialzündung auf fruchtbarem Boden

August 17, 2022

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Beitrag: Oliver Flueckiger | Foto: Anne Gabriel-Jürgens

Aare Valley, Crypto Valley, Limmat Valley – viele Regionen haben sich auf die Fahne geschrieben, das nächste Silicon Valley zu werden. Häufig werden solche Initiativen jedoch nur halbherzig umgesetzt und nach ein paar Jahren zeigt sich, dass sich anstatt hochinnovativer Start-ups lediglich ein paar KMU angesiedelt haben. Andere Regionen sind weiter, Stockholm beispielsweise. Auf den ersten Blick haben Schweden und die Schweiz einige Gemeinsamkeiten: Die Population ist ähnlich gross, die Infrastruktur ist bestens ausgebaut, beide Länder haben in der Gründerzeit namhafte Unternehmer hervorgebracht und beide Länder werden gerne miteinander verwechselt. Schweden hat zwar ähnlich viele Start-ups hervorgebracht wie die Schweiz, aber mit 15 Unicorns dreimal so viele mit Milliardenbewertung. Was sind die Gründe, dass in Stockholm so viele innovative, erfolgreiche Start-ups entstehen?

Von Generation zu Generation

In Schweden hat sich Ericsson in den 90er-Jahren zu einem der führenden Mobilfunkunternehmen entwickelt. Einige ihrer gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeitenden wollten früher oder später ein eigenes Start-up gründen. Die eigentliche Initialzündung für das Start-up-Ökosystem in Schweden war aber Skype. Skype wurde u. a. vom ehemaligen Tele2-Manager Niklas Zennström entwickelt, basierend auf dem Peer-to-Peer-Prinzip des ebenfalls von ihm gegründeten Kazaa. Nach dem Verkauf von Skype an eBay für USD 2,5 Mrd. im Jahr 2005 hatten dank Mitarbeitenden-Aktien plötzlich zahlreiche Skype-Manager:innen viel Geld, das sie in neue Start-ups in Stockholm reinvestierten. Zennström zum Beispiel gründete Atomico, heute einer der europäischen Top-VCs. So entstand eine zweite Generation an erfolgreichen Start-ups mit Spotify, King, Klarna und weiteren. Deren Gründer:innen investierten wiederum in die dritte Generation mit NaturalCycles, Kry etc. und diese unterstützen bereits die nächsten Start-up-Generationen.

Mut zur Mittelmässigkeit

Für den Erfolg des schwedischen Clusters gibt es aber noch mehr Gründe als nur die Skype-Initialzündung. Neben guten Hochschulen und einer langen Ingenieurstradition ist in der schwedischen Kultur der Mut zur Mittelmässigkeit stark verankert: Auf Schwedisch gibt es mit «lagom» sogar ein Wort dafür.

Anders als wir in der Schweiz mit unserem Hang zur Perfektion releasen schwedische Start-ups gerne auch halb fertige Produkte. So kann viel früher Feedback gesammelt und das Produkt basierend darauf verbessert werden.

Was mit dem Lean-Start-up-Framework erst vor etwa zehn Jahren überall ins Entrepreneurship Einzug hielt, hatten die Schwed:innen bereits verinnerlicht – ein grosser Vorteil für Jungunternehmen.

Starke Digitalkompetenz und sehr gute Englischkenntnisse

In den 90er-Jahren subventionierte die schwedische Regierung Desktop-PCs für Privathaushalte. Die junge Generation nutzte diese PCs natürlich, um das Internet zu erkunden und Games zu spielen. Viel früher als in anderen Ländern haben die jungen Menschen in Schweden eine starke Digitalkompetenz entwickelt. Viele davon wollten sich nicht mit der Rolle als Konsument:in zufriedengeben. Sie begannen, selbst Applikationen und Games zu entwickeln. Nicht wenige davon gründeten später erfolgreiche Digitalunternehmen. Die Kommunikation in den meist sehr internationalen Start-ups und auch mit der Kundschaft erfolgt in der Regel auf Englisch. Die sehr guten Englischkenntnisse der schwedischen Bevölkerung haben sicher auch ihren Teil dazu beigetragen, dass die schwedischen Start-ups schneller und erfolgreicher international skalieren.

Schlanke und digitale Verwaltung

Die Skype-Initialzündung entfachte nicht nur in Schweden das Start-up-Feuer, sondern in der ganzen Region. In der nahen, aber deutlich günstigeren estnischen Hauptstadt Tallinn – wo Programmierer:innen den Code für Skype entwickelten – gibt es besonders gute Bedingungen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entschied sich Estland mit gerade mal 1.3 Mio. Einwohner:innen einen schlanken Staat aufzubauen. Als Gegenentwurf zur überbordenden Bürokratie im Kommunismus setzte das Land von Anfang an auf einen transparenten und vor allem digitalen Staat. Sämtliche Behördengänge können seit Langem online erledigt werden, etwa Grundbucheinträge oder Firmengründungen. Der Staat stellt aber auch eine Plattform zur sicheren Identifikation zur Verfügung. Diese kann genutzt werden, um schnell Bankkonten zu eröffnen oder um eCommerce-Transaktionen zu verifizieren. Perfekte Bedingungen für Online-Start-ups. Das zeigt sich auch in der Statistik: Mit 865 Start-ups gibt es nirgendwo mehr Start-ups pro 1 Mio. Einwohner:innen als in Estland. Auch hier hat sich ein starkes Ökosystem entwickelt. Die «Estonian Startup Mafia» ist mittlerweile berühmt-berüchtigt: Ein Syndikat extrem erfolgreicher Business Angels, die regelmässig Top-Start-ups hervorbringen wie die Ride-Sharing-Plattform Bolt, das CRM Pipedrive oder die Peer-to-peer-Geldtransfer-Plattform Wise (ehem. TransferWise).

Die Schweiz ist auf dem richtigen Weg

In der Schweiz hat sich das Klima für Start-ups in den letzten Jahren deutlich verbessert. Unter anderem dank Initiativen wie «Digital Switzerland» oder Business-Angel-Vereinigungen wie SICTIC hat sich die Szene stark professionalisiert. Von einer Maturität wie in Stockholm oder Tallinn ist die Schweiz allerdings noch immer entfernt. Das liegt unter anderem daran, dass es in der Schweiz noch keinen Exit in der Grössenordnung von Skype gab. Die Finanzierungsrunden in Schweizer Start-ups sind tendenziell kleiner als im Ausland, die Bewertungen liegen tiefer. Zwar investieren viele Unternehmer:innen als Business Angels nachdem sie ihr Start-up verkauft haben – häufig jedoch in ausländische Start-ups. Auch die hier ansässigen VCs investieren eher selten in lokale Start-ups, sondern nutzen hauptsächlich die steuerlichen Vorteile für ihre internationalen Aktivitäten. Sobald auch die Schweiz ihren Multimilliarden-Exit feiert, entsteht eine starke «Swiss Mafia» – und dann legt die Start-up-Nation Schweiz so richtig los.

 


About the Author: Oliver Flueckiger

Er ist Tech-Entrepreneur in Berlin und Zürich mit Fokus auf digitale Geschäftsmodelle und zweiseitige Plattformen. Als Startup-Gründer, Verwaltungsrat und Dozent beschäftigt er sich intensiv mit den Themen Entrepreneurship, Start-ups, Technologie, Innovation Management und digitale Ökonomie.

In seiner Freizeit ist Oliver Flueckiger an einem seiner Lieblingsorte im Grünen in Zürich anzutreffen; öfters auch in Joggingschuhen.

 

Für unser Yea(h)rbook 2022 haben inspirierende Persönlichkeiten aus dem nahen Umfeld des Institute for Digital Business einen Fachbeitrag verfasst. Für den Fall, dass du den Beitrag in gedrucktem Format noch nicht lesen konntest, teilen wir ihn hier auf unserem Blog noch einmal digital. 

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