Gute Ideen in den Sozialen Medien
Dezember 5, 2019
Gute Ideen sind auch in den Sozialen Medien wichtig. Wer keine Ideen hat, braucht ein grosses Mediabudget, um Reichweite zu erzielen. Allerdings: Das Zielpublikum mit dürftigen Inhalten zu bombardieren, ist wohl die schlechteste Idee von allen. Was also ist eine gute Idee? Und wo um Himmels willen findet man sie?
Das Sprungbrett für eine gute Idee baut der Kopf. Er analysiert die Marke, die Mitbewerber und die Zielgruppe. Und gelangt im besten Fall zu einer wahren Einsicht. Zum Beispiel: «Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist». Von hier aus könnte man nun höchst rational eine ganze Kampagne konstruieren, fein säuberlich aufgeteilt nach Customer Journeys und Sales Funnels. Mit vielen Pfeilchen, die anzeigen, von wo sich die Aufmerksamkeit wohin richtet. Und wo präzis das Desire in Action umschlägt. Das wirkt in Strategie-Präsentationen grossartig. Aber nicht immer in der Wirklichkeit.
Wie gelangt man von einer Strategie, die auf einer wahren Beobachtung beruht, zu einer «Big Idea»? Die gute Nachricht: Man braucht keinen dicken Kreativitätsratgeber. An so etwas glaubt Livio Dainese nicht. Dafür glaubt er – an Magie! Die Klasse blickte an dieser Stelle wohl etwas skeptisch drein. Jedenfalls schlug der Dozent vor, zur Einstimmung Hand in Hand um die nüchternen Bänke des Seminarraums 406 der HWZ zu tanzen. Es blieb dann aber bei einigen Erläuterungen. Magisch wird es, wenn eine Strategie sich in einer neuen Sichtweise ausdrückt. Einem frischen Bild. Einem ungesagten Satz. Wenn etwa die richtige, aber ziemlich prosaische Aussage «You’re not you when you’re hungry» so einfallsreich dramatisiert wird wie im Diva-Spot von Snickers. Oder wenn ein Werbespot den anhaltenden Zauber von Disney-Filmen nicht bloss behauptet, sondern überraschend vorführt.
… hätte man sie in der Execution nicht verkackt.» So lautete in der kernigen Sprache des Dozenten die Warnung, ja nicht die Umsetzung zu vernachlässigen. Denn mag die Idee auch 90% eines gelungenen Werks ausmachen – die restlichen 90% sind Umsetzung. Oder: Die Idee ist das eine, die Umsetzung ist alles. Vielleicht dachte der Dozent dabei etwas an Möchtegern-Kreative, die glauben, mit «authentischen» Smartphone-Aufnahmen wertvolle Markenarbeit in den Sozialen Medien zu leisten. Wenn solche Aufnahmen wirklich funktionieren, sind sie meist von Profis gemacht. Die so professionell sind, dass sie auch das Genre «Unprofessionell» beherrschen. Die angenehm unwerberischen Obermutten-Videos zum Beispiel wurden von erfahrenen Werbern aufgenommen. Als das nach einiger Zeit herauskam, klagten Puristen, die Aktion habe Social Media zerstört. Wirklich? Immerhin hat die Umsetzung nicht die Idee ruiniert!
Es ist wahr: Ideen hat es schon vor Social Media gegeben. Aber auf den neuen Plattformen reagiert das Publikum viel unmittelbarer auf sie. Um die Chance zu erhöhen, dass sie dort geliket und geteilt werden, hat Livio Dainese einige Leitlinien formuliert.
Menschen lieben Geschichten. Und viele Geschichten haben eine ähnliche Struktur:
– Once upon a time there was (ein Hobbit).
– Every day (genoss er sein gemütliches Leben im Auenland).
– One day (klopfte ein Zauberer an seine Tür).
– Because of that (machte sich der Hobbit auf, um den gefährlichen Ring zu zerstören).
– Because of that (wollten ihn die Mächte des Bösen aufhalten).
– Until finally (der Hobbit den Ring zerstörte und so die Welt rettete).
Klassische Werbespots funktionieren analog, aber in einem engen Zeitrahmen: 20 Sekunden Spannungsaufbau, dann die Pointe. In Zeiten des Content-Overkills auf hypernervösen Social-Media-Plattformen wirkt selbst das noch episch wie «Doktor Schiwago». Wer von Kevin Kurzeaufmerksamkeitsspanne nicht weggeswipet werden möchte, liefert die Klimax innerhalb von drei Sekunden. Das verändert das Storytelling zwar radikal, bietet aber die Chance, dass die Geschichte zu Ende geschaut wird. Und vielleicht sogar freiwillig geteilt. Langweiler dagegen brauchen ein grosses Mediabudget, damit sich ihre Botschaft irgendwann doch noch im Hirn eines potenziellen Kunden festkrallt.
Menschen machen nicht immer das, was man denkt. Für Social-Media-Kampagnen bedeutet das: Sie sind nie ganz kontrollierbar. Den meisten Unternehmen ist das unheimlich. Livio Dainese stellt denn auch fest, dass manche seiner Social-Kampagnen mit kleinen Budgets auf Nebengeleisen entstanden sind. So die Online-Rezension des Ikea-Kataloges durch den bekannten Literaturkritiker Hellmuth Karasek. Oder die Facebook-Kampagne für das Bündner Bergdörfchen Obermutten. Wenn die Kampagne dann unerwartet bis nach Südkorea durchstartet, ist wirklich Improvisationstalent gefragt. Und Nachtarbeit fürs Community Management.
Social-Media-Kampagnen macht man, weil Menschen gerne online sind. Das Quäntchen Magie entsteht aber erst dort, wo sich ein Bezug zum echten Leben herstellt. Wenigstens so lange es so etwas noch gibt. Schon in absehbarer Zukunft, so vermutet der Dozent, dürften viele Leute in der virtuellen Welt mehr zuhause sein als in der wirklichen. Auch das Marketing werde sich in diese Richtung bewegen. Schon heute werden z.B. virtuelle Designerkleider für reales Geld angeboten. Und auch erworben – manche Kollektionen sogar bis zum Ausverkauf.
Belohnen ist das Gegenteil von hereinlegen. Ein Beispiel für Worst Practice stammt vom FC Bayern München. Der Klub versprach einmal, er werde allen, die seine Facebook-Seite liken, den neuen FCB-Spieler verraten. Nur um nach erfolgtem Like zu verkünden: «Der neue Mitspieler bist du selber – weil du uns ja geliket hast, haha!» Wer andere verascht, steht bald selber im Shitstorm. Und so kam es auch für die Bayern. Anders läuft es da, wo die Leute ernst genommen und fürs Mitmachen belohnt werden: mit einem Preis, einer Rolle, einem positiven Erlebnis.
Das heisst: die Geschichten so gut machen, dass die Menschen sie freiwillig liken und sharen. Shares und Likes dürfen in den Sozialen Medien keine Mitmachbedingungen sein.
Facebook, Twitter und Co. haben ihre Regeln. Die gilt es zu beachten – zum Beispiel, wenn man einen Wettbewerb durchführt. Wird der Kodex verletzt, ist die Kampagne bald unfreiwillig zu Ende.
Die sozialen Medien entwickeln sich ständig weiter. Wer die letzten Interface-Änderungen von Facebook verschläft, erlebt mit seiner Kampagne vielleicht ein böses Erwachen. Und ein Influencer-Geschäftsmodell, das allein auf Instagram aufbaut, bricht bei einer allfälligen Like-Abschaffung in sich zusammen.
Die letzte Regel stellt alle Regeln in Frage. Also auch sich selbst. Darum gilt sie nur halb. Wenn Leitfäden für erfolgreiche Kampagnen funktionieren würden, gäbe es mehr erfolgreiche Kampagnen. Ausserdem: Was für einen bestimmten Kunden funktioniert hat, muss für einen anderen nicht auch passen. Abgesehen davon, dass es dann schon déjà-vu ist. Alles Neue wirkt am Anfang irgendwie falsch – weil es eben den gewohnten Rahmen verletzt. Und wer nie das Risiko eingeht, am Ende vielleicht allein in den Unterhosen dazustehen, wird kaum etwas Bemerkenswertes zustande bringen. Geschweige denn, als Leader eine neue Bewegung initiieren.
Livio Dainese theoretisierte nicht bloss über Ideen und Geschichten, er erwies sich selber als gewiefter Geschichtenerzähler. Die drei lehrreichen Stunden vergingen schnell. Ganz am Schluss wurde aus der Klasse nachgefragt, ob er nicht doch ein klitzekleines Geheimrezeptchen zum Ideenfinden auf Lager habe? Die Antwort: Am Anfang seriös das Briefing studieren – und dann joggen gehen. Wenn nämlich ein Teil des Gehirns mit etwas Anspruchslosem beschäftigt sei (ein Bein vor das andere setzen, zum Beispiel), werde jener Teil aktiv, der nicht nur rational denke. Sollten Unternehmen ihre Mitarbeitenden also einmal am Tag zur Kreativitätssteigerung auf die Finnenbahn schicken? Gar keine schlechte Idee!
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