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Daniel Graf: Vorbei sind die Hiobsbotschaften: „Nerds retten die Welt“

Juli 29, 2022

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Der Spruch steht gross auf dem Hoodie, den Social Entrepreneur und Campaigner Daniel Graf trägt. Und tatsächlich träumt der HWZ-Dozent der ersten Stunde von einer globalen Demokratie in virtuellen Räumen. Die digitale Demokratie in der Schweiz hat er mit seinen Kampagnen und Tools bereits geprägt wie niemand anderes. Fertig damit ist er noch längst nicht.

Interview: Jrene Rolli | Foto: Anne Gabriel-Jürgens

Wann hast du zum ersten Mal versucht, Menschen für etwas zu mobilisieren?

Als 11-Jähriger zeichnete ich an einem Malwettbewerb einen Comic, auf dem Vater und Sohn vor drei Baumstrünken stehen und der Sohn fragt «Papa, wo ist der Wald?». Ich war wohl das einzige Kind, das etwas Politisches eingereicht hat.

Du bewegst dich im Spannungsfeld von Politik, Technologie und Kommunikation. Wie kam es zu dieser Kombination?

Technik und Computer haben mich schon früh fasziniert. In den Herbstferien besuchte ich freiwillig einen Programmierkurs, das haben meine Schulkollegen nie verstanden. Und als Jugendlicher schaltete ich morgens direkt nach dem Aufstehen den Fernseher ein, um CNN zu schauen. Meine Mutter fand das weniger toll, aber immerhin waren es Nachrichten. Als Medienjunkie überlegte ich lange, Journalist zu werden. Aber ich wollte nicht nur über etwas reden, sondern selber etwas machen. Ich habe einen starken «Möglichkeitssinn» und will darum etwas verändern.

Du hast eine Agenda für die digitale Demokratie geschrieben. Welches Thema sollte die Schweiz prioritär behandeln?

Dass Digitalisierung eine Einladung ist, über Demokratie zu diskutieren. Nur wenige Menschen wissen, wie Demokratie hinter den Kulissen funktioniert und was für eine Rolle sie selbst darin spielen können. Wir alle könnten viel mehr Teil dieser Demokratie sein. Wie schaffen wir es, über unsere Demokratie zu reden – so, dass es selbstverständlich wird, dass Demokratie nicht fertig gebaut ist und unter «Heimatschutz» steht? Wir müssen nichts abreissen, aber laufend weiterentwickeln und anbauen.

Laut dem Demokratieindex 2020 ist Norwegen das demokratischste Land der Welt. Was können wir bezüglich Demokratie von anderen Ländern lernen?

Wir Schweizer:innen fragen uns das ja nie, da wir glauben, Demokratie hätten wir erfunden und sei ein Exportprodukt. In anderen Ländern gibt es etwas Tolles: den Demokratietag am 15. September. In Schulen wird dann die Demokratie nachgespielt, erlernt und zelebriert. In diesen Ländern ist es viel bewusster, dass Demokratie etwas Lebendiges ist, das man erlernen, gestalten und weiterentwickeln muss. Wir in der Schweiz stecken jedoch mehr Geld in die Demokratieförderung im Ausland als innerhalb der Schweiz.

Ist die Schweiz durch die Digitalisierung tatsächlich demokratischer geworden? Oder gibt es auch Dinge, die schwieriger wurden?

Hier denken viele sofort an die Diskussionen in den Social Media. Darin sehe ich jedoch für die Schweiz aktuell keine grosse Gefahr. Wir müssen einfach lernen, was okay ist und was nicht. Demokratie ist per se laut, lärmig und lebendig – auch offline.

Der Anspruch, leise, konsensorientiert und rücksichtsvoll über Politik zu debattieren, ist schlicht realitätsfern.

Grössere Sorgen bereitet mir die Medienvielfalt. Insbesondere grosse Online-Player, die nebst Nachrichten auch noch Daten verkaufen. Und wenn es in einer Demokratie darauf ankommt, dann zählen Titelseiten und Push-Notifications von Newsseiten noch immer mehr als Social Media.

Statt dem Abstimmungsbüchlein wünschst du dir eine digitale Bürgerplattform, welche Debatten ermöglicht. Wie würdest du dafür sorgen, dass es nicht ausfallend und inhaltslos wird wie im Kommentarbereich auf Newsportalen?

Politische Räume sind per se nicht ruhig. Das wäre doch etwas unheimlich, wenn es harmonisch wäre, nicht? Hinter Politik stehen immer Interessen und dann «räblets» eben auch mal. Demokratie bedeutet auch Auseinandersetzung. Das gehört dazu. Aber das heisst nicht, dass es nicht auch verständnisorientiert ablaufen kann. Dafür braucht es jedoch entsprechende Regeln und Räume. Solche könnte eine digitale Bürgerplattform bieten.

Du träumst von einer globalen Demokratie. Erzähl doch mal:

Die Zeit ist gekommen, nicht mehr nur über Technologie zu sprechen, sondern über ein Upgrade für unser politisches Weltsystem. Das sieht man an der Klimakrise: Das ist etwas Globales, das nicht einzelne Länder allein lösen können. Wir benötigen kein Weltparlament, das in einem riesigen Gebäude tagt und durch die Welt jettet. Wir haben jetzt virtuelle Räume, in welchen zig Menschen zusammenkommen und sich problemlos sprachübergreifend austauschen und verstehen können. Und sich zu verstehen, ist die wichtigste Voraussetzung, um gemeinsam Politik zu machen.

Deine Stärke ist, bei Menschen das Kopfkino zum Laufen zu bringen. Hat es auch Nachteile, so ein Visionär zu sein?

Loslassen und geschehen lassen, das fällt mir schwer. Ich will immer einen Schritt voraus sein. Das sind wohl Überbleibsel einer früheren Überlebensstrategie, die ich mir aneignete, als ich zehn Jahre alt war und mein Vater starb. Ich hätte mich am liebsten in die Zukunft gebeamt. Das Interesse für mehr «Mindfulness» kommt bei mir erst jetzt.

Für welches Unternehmen würdest du gerne mal eine Kampagne machen?

Migros, ganz klar. Schliesslich war ihr Gründer Dutti einer der smartesten und unkonventionellsten Campaigner der Schweiz. Und die Migros hat die Kraft, den Teller der Schweiz zu verändern, was für wirksamen Klimaschutz gerade wichtig wäre.

Könntest du alle Plakatwände der Schweiz mit einem einzigen Sujet gestalten: Was wäre darauf zu sehen?

Ein Herz und daneben ein «ja». Die Idee dahinter: Wenn wir etwas machen, dann nicht unseretwegen, sondern wegen denjenigen Menschen, die nach uns kommen.

 

Für unser Yea(h)rbook 2022 haben wir inspirierende Persönlichkeiten aus dem nahen Umfeld des Institute for Digital Business interviewt. Für den Fall, dass du das Interview im gedruckten Format noch nicht lesen konntest, teilen wir es hier auf unserem Blog noch einmal digital. 

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