Über Elefantenflüsterer und die Kraft des Narrativen
Juni 10, 2020
Was haben Elefanten mit der Kraft des Narrativen zu tun und wie beeinflussen diese die Gesellschaft und die Unternehmenswelt? Mit diesen Fragen setzte sich die Pionierklasse des CAS Digital Ethics an jenem Freitagmorgen auseinander.
Bevor wir auf diese Fragen eingehen, werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Grundstruktur und Definition einer Narrative. In den Sozialwissenschaften werden Narrative als sinnstiftende Erzählungen bezeichnet, welche die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen. Dabei transportieren sie Werte und Emotionen, beziehen sich meistens auf einen bestimmten Kulturkreis und sind zeitlich wandelbar.
Narrative können nicht beliebigen Geschichten gleichgesetzt werden, sondern sind mit Legitimität versehene Erzählungen. Sie kreieren Kausalität, koordinieren Handlungen und konstruieren somit unsere Identität und unsere gesellschaftliche Orientierung. Unser Dozent definierte den Begriff folgendermassen:
Narrativen sind Blaupausen des Denkens und Handelns für ein gelingendes Leben
Grundsätzlich lassen sich Narrative in drei unterschiedliche Phasen unterteilen.
Die initiale Phase geht von einer Situation aus, in der die Gesellschaft oder das Individuum erfolglos ist. Diese Erfolglosigkeit wird durch Leistung in der zweiten Phase in Erfolg transformiert. Ist die Transformation vollständig, so befindet man sich in der dritten Phase und der Zyklus ist komplett.
Als Beispiel einer Narrative nannte unser Dozent die amerikanische Mondlandung. Getrieben von dem gesellschaftlich geteilten Bild des American Dream und der von Präsident Kennedy erschaffenen Überzeugung, dass Dinge genau darum getan werden sollen, weil sie schwierig sind, wurden in den USA grosse Kräfte gebündelt. Diese Kräfte entwickelten sich mit der Zeit zu einer der Leitnarrativen des Landes.
Der Kommunismus und der Faschismus sind, in ihren tiefsten Kernen, ebenfalls Narrative. Dabei handelt es sich um mono-perspektivische Narrativen welche aufzeigen, dass hinter den Elementen einer Narrative nicht primär der Wahrheitsgehalt, sondern viel mehr gesellschaftlich geteilte Orientierungen, Resonanzen und Solidarität im Vordergrund stehen.
Wie im vorherigen Kapitel gesehen, haben Narrativen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen und wahrnehmen. An diesem Punkt kommt die Metapher des Eisbergs ins Spiel. Das, was unser Gehirn und unser Verstand aktiv wahrnimmt, macht nur einen Bruchteil der ganzen Welt aus. Das Meiste befindet sich unterhalb des Eisbergs und wird von Menschen nur unbewusst wahrgenommen.
Grosso modo lässt sich sagen, dass sich die Welt der Dinge und Objekte, also die rational erklärbare positivistische Welt, oberhalb des Eisbergs befindet. Diese macht aber nur etwa 10% des Ganzen aus. Die restlichen 90% befinden sich in der unsichtbaren und emotionalen Welt der Wirkung und Resonanz, zu der unter anderem unsere Werte, Einstellungen, Bedürfnisse und Grundannahmen gehören.
Diese Dichotomie hat mit der Art und Weise zu tun, wie wir neuronale Impulse verarbeiten. Einerseits gibt es das Faktenwissen-Gedächtnis, in dem unser Wissen, Fakten und Einzelheiten gespeichert und bewusst verarbeitet werden. Andererseits existiert in unserem Hirn das episodische Gedächtnis, wo Erlebnisse, Erfahrungen und Ereignisse gespeichert und im limbischen System unbewusst prozessiert werden. Ein wichtiger Unterschied dabei ist die Art und Weise, wie Informationen darin strukturiert sind. Informationen im Faktenwissen-Gedächtnis sind formal strukturiert, währenddem diese im episodischen Gedächtnis narrativ strukturiert sind.
Es ist eine inhärente Eigenschaft des Menschen, lieber narrativ strukturierte Informationen zu verarbeiten. Dies impliziert, dass er sich auch stärker von diesen beeinflussen lässt. Diese wissenschaftliche Erkenntnis unterstreicht nochmals die Wichtigkeit von Narrativen in der Gesellschaft.
Nun kommen wir auf die anfangs gestellte Frage zurück, was Elefanten mit der Kraft des Narrativen zu tun haben. Der Elefant unten im Bild steht sinnbildlich für die unsichtbare Welt, in der unsere Werte, Bedürfnisse, Einstellungen und Grundannahmen gespeichert sind. Die Menschen hingegen repräsentieren die sichtbar wahrgenommene Welt, unsere Ratio. Die Letzteren bestimmen zwar den Kurs und die Richtung des Ziels, die treibende Kraft selber geht aber vom Elefanten aus. Wir entscheiden zwar aktiv, wohin wir gerne möchten, können aber die Richtung und die treibende Kraft nur inaktiv steuern, weil sich die Verarbeitung unbewusst in unserem limbischen System vollzieht. Diese unbewussten Entscheidungen sind in narrativen Strukturen eingebettet und werden um ein 20-faches schneller getroffen als unsere bewussten Entscheidungen. Der Elefant dabei macht gesamthaft gesehen circa 90% der Entscheidung aus, die Ratio auf dem Elefant nur deren 5%. Dies unterstreicht abermals die Wichtigkeit von narrativ gespeicherten Informationen.
Unsere eigene Identität ist ebenfalls ein narratives Konstrukt und besteht aus einer Mischung aus Selbst-Narration (was wir über uns selber sagen) und Fremd-Narration (was die anderen über uns sagen), stets eingebettet in eine kontextuelle Historie.
Die Funktionsweise und Prämissen über die Kraft des Narrativen üben ebenfalls einen Einfluss auf Unternehmen aus. Auch dort lässt sich eine Dichotomie aus einem sichtbaren Bereich (Organigramme, Prozesse und offizielle Handlungen) und einem unsichtbaren Bereich (Haltungen, Werte, Grundannahmen und informellen Handlungen) identifizieren. Das Problem in vielen Unternehmen ist nun, dass Werte bloss als ein abstrakter, vieldeutiger Begriff gesehen werden. Beispiel: Man definiert die moralischen Werte eines Unternehmens in einer PDF Datei, macht einen Haken auf der To-Do-Liste und speichert diese in den Servern ab. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, reicht ein solches Vorgehen jedoch nicht: Werte müssen in eine konkrete und eindeutige Geschichte eingebaut werden, so dass der Elefant die nötige Kraft erhält, um an das Ziel zu kommen. Patrick Kappeler fasste das Dilemma mit folgendem Zitat zusammen:
Wir müssen wieder lernen, mit dem Elefanten zu sprechen
Den Abschluss jenes Freitagmorgens machte die Reflexion darüber, wie der digitale Paradigmenwechsel die Kraft des Narrativen beeinflusst. Die Quintessenz daraus war, dass wir, vor dem Hintergrund der disruptiven Technologien, in eine multi-perspektivische Welt mit mehreren Realitäten rüber gehen, in der so genannte financial unicorns den Takt vorgeben, wie Start-Ups wie beispielsweise Uber oder Revolut in der Vergangenheit gezeigt haben. Patrick Kappeler sagte dazu treffend:
Wer die Zukunft verstehen will, muss den Einhörnern folgen
Diese Mehrschichtigkeit der digitalen Realität wird zukünftig wohl einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Narrativen in unserer Gesellschaft haben. Da sich all dies jedoch in unserem Unterbewusstsein abspielt, wird nur der Elefant in uns aktiv etwas davon mitbekommen.
Dieser Blogbeitrag wurde von einem Studierenden verfasst und beinhaltet subjektive Eindrücke, eigene Darstellungen und Ergänzungen.
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