Institute for Digital Business

So, so, die 90er-Jahre haben angerufen und möchten gerne eine Digitalstrategie?

März 6, 2015

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Social Media, Sharing Economy, 3D-Drucker, Gamification, Wearables und Myriaden von anderen Buzzwords bereichern seit Jahren unseren Medienkonsum. Digitalisierung dramatischer auch als digitale Transformation verunglimpft, hat mittlerweile in vielen Unternehmen einen festen Platz in Strategiediskussionen bei Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Das ist gut so.

Weniger gut mutet es an, wenn in eben diesen Gremien über einer eigenständigen, vom Kerngeschäft faktisch losgelösten, Digitalstrategie gebrütet wird. Noch absurder ist die Denke, eine Social Media-, Sharing Economy- oder eine andere „Hast-Du-nicht-gesehen” [Bitte hier ein gehyptes Buzzword Deiner Wahl einsetzen] -Strategie rettet uns über die nächsten Planungszyklen. Entweder hat ein Buzzword-Thema strategische Relevanz, dann gebührt ihm angemessen Raum im Rahmen der Strategiereview-Übungen. Oder man kann sich den Aufwand getrost sparen. Alles andere ist eine strategische Täuschung.

Woher stammt die Motivation, ein so zentrales Innovationsthema wie Digitalisierung lieber abgekapselt anzugehen, anstatt es in die übergeordnete Unternehmensstrategie einzubetten und in mit den darin abgeleiteten Zielen zu synchronisieren?

„Das ist so einfach wie das 1 x 1“, erklärte mir kürzlich ein Head of Strategy & Gedöns eines börsenkotierten Unternehmens — in einem Ton, der verdächtig demjenigen ähnelte, den ich selbst manchmal anschlage, wenn ich meiner Teenagertochter veranschauliche, wie Erfolg in der Schule (& im Leben) mit Arbeit korreliert. „Die Kundenabwanderung um 1 Prozent zu reduzieren — ein einziges Prozent — schafft Millionen von Franken mehr Wert. Ein Prozent Marktanteilsgewinn schafft sogar 5 Mal so viel. Unsere Investitionen in (digitale) Wachstumsinitiativen sind Jahre entfernt von solchen Renditen.“

Nun, die Fakten werden wohl stimmen. Das ist keine Überraschung, denn ein inkrementeller Investitionsfranken für’s Kerngeschäft wird fast immer eine höhere Kurzfristrendite erzielen als eine Investition in neue Geschäftsfelder, die oft Jahre an Inkubationszeit benötigen. Gerade deshalb ist es so kritisch für Unternehmen, mit den Investitionen in Wachstum zu beginnen, bevor sie darauf angewiesen sind. Damit sie Spielraum und vor allem Zeit erhalten, diese Initiativen reifen zu lassen.

„Ja aber…“ so der ‚Head of‘ weiter „wir sind besser dran, wenn wir nun unser Investitionsbudgets für Innovation zugunsten des Kerngeschäfts reduzieren“.

Nein, Nein, Nein!

Bitte versteht mich richtig, ich bin der Letzte, der dagegen argumentieren würde, das Tagesgeschäft nicht so widerstandsfähig wie möglich zu machen. Der heute generierte freie Cashflow schafft ja erst die Mittel für zukünftige Innovationen. Aber allein aufgrund von Marktdynamik, Währungsturbulenzen und anderen Unwägbarkeiten nur auf sicher zu spielen, ist eine gefährliche Strategie. Jedes Unternehmen und jedes Geschäftsmodell hat einen finiten Lebenszyklus. Produkte kommen und gehen, Kundenpräferenzen ändern sich. Ja selbst die eigenen Wettbewerbsvorteile verblassen über kurz oder lang. Unternehmen, die über einen langen Zeitraum am Markt erfolgreich agieren, sind es deswegen, weil sie regelmässig neue Produkte, Dienste und Geschäftsmodelle schaffen, welche bisherige Cash-Cow-Gewinnstrategien ablösen.

Ein Plädoyer für die Vermählung von Kerngeschäftsstrategie und Digitalisierung

Zum Warmlaufen ein an sich simples Rezept. Jede Wachstumsinitiative, ich rede bewusst nicht von ‚Strategie‘, sollte an die zentrale Unternehmensvision und die daraus abgeleiteten Top-Ziele andocken. Wenn RedBull ‚Flügel verleiht‘ und so Zielgrössen für Marktführerschaft, Positionierung und Medienresonanz ableitet, dann sollten ‚neue‘ Geschäftsfelder doch auch einen Weg finden, genau darauf einzuzahlen. Siehe da, eine erste kritische Hürde im Elfenbeinturm der Unternehmensbürokratie ist elegant umschifft.

‘Unlearning von’ statt ‘Festhalten an’ bewährten Rezepten

Ähnlich wie in vielen Sportarten ist die Voraussetzung für Erfolg eine gut austarierte „Defense“ und „Offense“. Ein grosser Stolperstein ist der Rucksack an Ausbildung und Erfahrung der heutigen Führungselite. Dieser besteht zu einem überwiegenden Teil aus zwar wichtigen, aber vorwiegend defensiven Komponenten. Risk Management, Total Quality (Null Fehler!), Krisenkommunikation, Controlling, Compliance, Langfristplanung oder Supply Chain Optimierung sind Disziplinen, welche dazu beitragen, die Firma auf Kurs und vor den Mitbewerbern zu halten. Dies wurde Managern und ihren Strategieberatern in den 90er Jahren an den renommiertesten Business Schools dieser Welt, ja selbst im Fachkurs Management (mit Zertifikat!) der Fernhochschule Hinterpfupfingen-Dorf unablässig eingetrichtert. Unternehmen wie Kodak oder Kuoni scheitern aber nicht, weil die Produktqualität mangelhaft wäre oder jemand in der Buchhaltung bei einem Reporting geschlampt hat. Sie scheitern, weil sie die richtige technologische Welle verpasst oder diese geniale Geschäftsmodellinnovation als ‚wird sich nicht durchsetzen‘ verschmäht haben. Wir müssen Wege finden, uns aus diesem komfortablen Korsett lange bewährter Rezepte zu lösen und im Sinne eines ‚Unlearnings‘ Raum für offensivere Skills zu schaffen.

Digital geprägte Unternehmenskultur und Ökosysteme

In einem dynamischen Umfeld, geprägt von technologischer Disruption und dem raschen Emporkommen von innovativen Startups, braucht es eine Verstärkung der Offensive. Und zwar jetzt. Ein smartes Geschäftsmodell hilft. Mut, Experimentierfreude, Fehlertoleranz und eine radikale Offenheit gegenüber der Vernetzung mit Kunden, Partnern, Startups, Mitbewerbern oder akademischen Institutionen sind Attribute, die dazu unbedingt auch in jedes Führungsteam gehören. Denn aktiv zur Entwicklung (digitaler) Ökosysteme beizutragen ist in jedem Falle mächtiger als die blosse Verteidigung des Egobrands (ECO schlägt EGO). Während Partnerschaften auch in der Old Economy längst zum Alltag gehören, sind Co-Working Spaces & Inkubatoren für Startups, Open Data Schnittstellen oder von Nutzern generierte Inhalte ein Phänomen der Internetgeneration. Die mitunter bürokratischen Governance-Strukturen gehören aufgebrochen, damit der heute oft betriebene Aufwand für Risikomanagement und interne Abstimmungsrunden das Ertragspotential digitaler Innovation nicht auf lange Sicht übertrifft.

Digitale Talente erst bündeln dann als Evangelisten aussenden

Der Kulturwandel ist schneller zu schaffen, wenn digitale Talente in einem Team gebündelt werden und sie ‚geschützt‘ an einer verheissungsvollen Zukunft arbeiten können. Weg. Sobald sich die ersten Erfolge am Markt und im Ökosystem offenbaren, werden Grenzen zum Rest durchlässiger. Abseits vom digitalen Mutterschiff entstehen so weitere innovative Zellen, welche diesen frischen offensiven Geist noch stärker in der Unternehmens-DNA verankern.

Deshalb mein Rat für Eure nächste Strategieübung: ob digital oder nicht: Handelt mutig und werdet nicht Opfer einer strategischen Täuschung.

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