Privatsphäre Paradoxon – ethische Handlungsoptionen
Juli 6, 2022
Von Silvan Schmidt
Die Privatsphäre ist tot. Oder? Dieser Beitrag zeigt ethische Handlungsoptionen für Unternehmen, um dem Privatsphäre Paradoxon zu begegnen.
Privatsphäre ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Ein Menschenrecht, verankert in der Bundesverfassung. Doch was ist privat? Sind es ihre Wohnung, ihre Krankengeschichte oder ihre Passwörter? Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich Menschen, Unternehmen und Staat einig sind, wo Privatsphäre beginnt. Die Stadt Zürich widmete diesem Thema die Ausstellung «Privatsphäre – geschützt, geteilt, verkauft», welche u.a. von Sarah Genner, Dozentin im CAS Digital Ethics, kuratiert wurde. Privatheit ist aber kein statischer Wert. Sie wandelt sich mit der Gesellschaft, der Digitalisierung und Big Data, wie auch durch neue Gesellschaftsmodelle.
Das 2001 erstmals thematisierte «Privatsphäre Paradoxon» beschreibt den Widerspruch zwischen unseren Bedenken bezüglich Privatsphäre und unserem tatsächlichen Verhalten. Wir geben viele persönliche Daten preis und machen uns gleichzeitig Sorgen um fehlenden Datenschutz. Das Privatsphäre Paradoxon wird kontrovers diskutiert. Der Widerspruch ist heute zum Teil erklärbar. Darüber hinaus möchten die Menschen Dienste nutzen, deren Entwicklung ohne ihre Daten gar nicht möglich gewesen wäre. Eine eindeutige Erklärung für diese Verhaltensweise wurde bisher aber nicht gefunden. Mögliche Erklärungsansätze listet u.a. das Institut der deutschen Wirtschaft auf:
Der gläserne Mensch wird heute oft als Metapher im Datenschutz verwendet. Wenn wir online sind, werden Daten über uns aufgezeichnet: wo wir uns befinden, mit wem wir kommunizieren, welche Webseiten wir besuchen. Es handelt sich dabei nicht um gezielte Überwachung. Indes ist es eine Grundeigenschaft digitaler Technologie und datengetriebener Geschäftsmodelle. Zudem können Daten immer einfacher gespeichert und ausgewertet werden. Aber wissen wir, was mit unseren Daten geschieht? Wie viele Datenschutzrichtlinien haben Sie in diesem Jahr mit einem Klick bestätigt, ohne sie zu lesen? Hätten Sie alle gelesen, wären dafür 76 Arbeitstage notwendig gewesen.
Die wertvollsten Unternehmen der Welt arbeiten mit Daten. Aber was macht unsere Daten so wertvoll und wer interessiert sich überhaupt dafür? Durch aufbereitete Daten lassen sich Muster erkennen. So werden Verkehrsflüsse simuliert, Hautveränderungen diagnostiziert oder Produktionsprozesse optimiert. Zudem werden Daten nicht verbraucht, wenn sie genutzt werden. Der Handel mit Personendaten ist nur in anonymisierter Form erlaubt, trotzdem lassen sie sich häufig Personen zuordnen. Die Daten entstehen auf unterschiedlichen Wegen: Einerseits geben Menschen ihre Daten selbst preis. Andererseits werden eher unwissentlich Daten generiert, z.B. bei einer Google Suchabfrage. Diese liefert übrigens rund 80 Millionen Ergebnisse zum Suchbegriff «Daten sind das neue Gold».
Der Kunde wird dabei, als Nutzer einer vermeintlich unentgeltlichen Dienstleistung, zum Produkt. Und zwar in Form von möglichst reichhaltigen Datensätzen. Über die letzten Jahre entstand dadurch ein weltweiter Markt, befeuert durch Datensammler und -händler. Wie lässt sich diese Sammelwut mit den Präferenzen der Kunden vereinbaren? Und wie können sich Unternehmen unter Berücksichtigung von ethischen Gesichtspunkten verhalten?
Unser Verständnis von Privatsphäre hat sich verändert, stark beeinflusst von Internet und sozialen Netzwerken. Unternehmen manipulieren unsere Datenschutzpräferenzen sogar. Zum Beispiel mit fein strukturierten Massnahmen wie dem gezielten Einsatz von Designelementen. Die rasante Entwicklung verstärkt dieses Problem und die Rechtssysteme können nicht Schritt halten. Daher müssen Unternehmen, die Wert auf einen ethischen Umgang mit Kundendaten legen, selbst Handlungsoptionen ausloten, um dem Privatsphäre Paradoxon zu begegnen und damit den Anforderungen ihrer Kunden Rechnung zu tragen. Das ist gar nicht so einfach: so besagt eine Studie der «Cambridge University Press», dass Kunden auch nach der Preisgabe ihrer Informationen und dem Akzeptieren von Datenschutzrichtlinien weiterhin hohe Erwartungen bezüglich Privatsphäre hegen. Andere Stimmen behaupten, dass es das Privatsphäre Paradoxon gar nicht mehr gibt, sie bezeichnen es eher als Dilemma.
Überarbeitete Datenschutz-Gesetze tragen dem Aspekt der Privatsphäre vermehrt Rechnung. Trotzdem sollten Unternehmungen selbst aktiv werden. Aus ethischer Sicht, insbesondere im digitalen Raum, müssen «Privacy by Default» und «Privacy by Design» als Credo für Organisationen gelten. Nur so wird man den Ansprüchen der Kunden und deren Interessen gerecht.
Privacy by Default und Privacy by Design sind nur schwer mit dem lukrativen Datengeschäft vereinbar. Legt ein Unternehmen jedoch Wert auf seine Kunden, muss es deren Privatsphäre respektieren. Einen positiven Ansatz, sorgfältig, nachvollziehbar und transparent mit Kundendaten umzugehen, verfolgt IKEA:
IKEA versucht mit diesem Modell, Verständnis und Vertrauen zu schaffen, Transparenz zu fördern und die Kontrolle über die eigenen Daten an die Nutzer zurückzugeben. Aus datenethischer Perspektive ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz bleibt viel zu tun, um ethische Prinzipien im digitalen Raum zu verankern. Oder, frei nach einem Chinesischen Sprichwort: «Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.»
Dieser Fachbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS Digital Ethics verfasst und wurde redaktionell aufgearbeitet.
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