Privacy Paradox – Hatten wir früher mehr Privatsphäre?
Von Gabriela Fischer, Dezember 13, 2022
Von Gabriela Fischer, Dezember 13, 2022
Im Internet bestellen, bei Google etwas suchen, Smartphones benutzen und Wearables tragen – die Digitalisierung hat unseren Alltag stark verändert. Wir sind ständig online und produzieren eine Unmenge an Daten. Trotz ausgeprägter Wichtigkeit der persönlichen Privatsphäre sind wir je nach Anreiz bereit, diese Daten ohne lange zu überlegen preis zu geben.
Das Recht auf Privatsphäre gilt als Menschenrecht und gibt dem Einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2018). Es gibt allerdings keine einheitliche Definition, was unter dem Privaten zu verstehen ist. Allgemeiner Konsens besteht darüber, dass jede Person grundsätzlich das Recht hat, Bereiche des eigenen Lebens zu definieren, zu denen andere Menschen nicht ohne Weiteres Zugang haben.
Um über diese Frage nachzudenken, sollten wir uns drei Fakten vor Augen führen:
Fakt #1
Gemäss Bundesamt für Statistik hat sich die Grösse des Haushalts im letzten Jahrhundert stetig verkleinert. Während früher ein Haushalt von fünf Personen und mehr die Norm war, leben heutzutage viele Personen alleine oder zu zweit.
Fakt #2
Im Laufe der Zeit haben sich sowohl die Geschwindigkeit wie auch der Komfort beim Reisen extrem verändert (Kaufmann & Hilt, 2019). Im Mittelalter war das Reisen beschwerlich und mühsam. Es waren fast ausschliesslich Kaufleute, Soldaten und Pilger unterwegs. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts kamen Bildungsreisen auf und im 19. Jahrhundert gab es vermehrt Luxusreisen. Diese Reisen waren aber nur für das wohlhabende Bürgertum bezahlbar. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich der „Otto Normalverbraucher“ Ferien im Ausland leisten und erst seit den 1990er-Jahre besteht der allgemeine Trend, Reisen zu unternehmen. Zudem wechseln Personen heutzutage öfter ihren Wohn- und Arbeitsort. Diese Entwicklung zeigt, dass sich der Bewegungsradius eines Individuums über die Zeit massiv vergrössert hat. So ist es im jetzigen Zeitalter eher möglich, sich anonym zu bewegen und nur gewünschte Informationen zu teilen.
Fakt #3
Auch wenn die neuen technischen Möglichkeiten erweiterte Kontrollsysteme zulassen, bedeutet dies nicht, dass früher keine Überwachung stattgefunden hat. Zwischen den 1950er- und späten 1980er-Jahren bespitzelte zum Beispiel der Schweizer Staat zahlreiche Personen (Lento, 2020). Diese Überwachungstätigkeit führte für einige Betroffene zur Landes-Ausweisung oder zu Problemen bei der Arbeitssuche. Weitere erwähnenswerte Beispiele zur Überwachung sind das früher geführte Zürcher Homosexuellen-Register, die Datensammlungen der NSA, die von Snowden enthüllt wurden und die aktuell angewandte Überwachungssoftware in China (Genner, 2022).
Im Zeitalter der Digitalisierung ist durch Big Data die potentielle Zugänglichkeit zu privaten Informationen grösser denn zuvor (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2018). Passend dazu schreibt Mareike Müller (2020) einen Bericht im Handelsblatt mit dem Titel: „Unsere Privatsphäre ist fast verloren – Zeit, sie zurückzuerobern!“. Aber hatten wir früher wirklich mehr Privatsphäre?
Fakt #1 zeigt, dass wir heutzutage in unseren vier Wänden eher einen Bereich haben, zu denen andere Menschen nicht ohne Weiteres Zugang gewährt ist. Durch Fakt #2 wird deutlich, dass wir uns zudem auch örtlich freier bewegen können. Und Fakt #3 zeigt, dass Überwachung auch vor der Digitalisierung möglich war und bereits angewendet wurde.
Bundesamt für Statistik. (2021). Haushalte. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung/haushalte.html
Genner, S. (2022, Mai 6). Unterricht im Rahmen des CAS Digital Ethics an der HWZ zum Thema Privacy Paradox.
Kaufmann, S., & Hilt, K. (2019, Oktober 10). Geschichte des Reisens. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/tourismus/geschichte_des_reisens/index.html
Lento, M. (2020, Januar 12). Fichenskandal: Mit Eifer nahm der Staat die Ausländer ins Visier. https://www.swissinfo.ch/ger/schweizer-mccarthyismus_fichenskandal–mit-eifer-nahm-der-staat-die-auslaender-ins-visier/45446080
Müller, M. (2020, März 30). Unsere Privatsphäre ist fast verloren – Zeit, sie zurückzuerobern!. https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-unsere-privatsphaere-ist-fast-verloren-zeit-sie-zurueckzuerobern/25641298.html
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. (2018). Privatheit in Zeiten der Digitalisierung. druckhaus köthen GmbH & Co. KG.
Dieser Fachbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS Digital Ethics verfasst und wurde redaktionell aufgearbeitet.
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