Digitale Disruptionen: Die nächste Stufe der Innovation
Februar 28, 2019
Aus dem Unterricht des CAS Digital Leadership, zum Thema Disruption Governance mit Dr. iur. Günther Dobrauz-Saldapenna, Partner & Leader PwC Legal Switzerland, berichtet Alex Kloeppel.
Digitale Disruptionen zerstören traditionelle Geschäftsmodelle. Weshalb dies so ist und warum es für traditionelle Firmen schwierig bis unmöglich ist ihr Geschäftsmodell zu adoptieren zeigt der nachstehende Blogbeitrag.
Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung ist ein wirtschaftswissenschaftliches Werk des österreichisch-amerikanischen Ökonomen Joseph Schumpeter. Es erschien zuerst 1912. Das Werk gehört zu den bekanntesten Werken der Wirtschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts. Schumpeter veröffentlichte das Werk im Alter von 28 Jahren als Professor in Graz. Es fand viel Anerkennung und machte den jungen Autor in der Fachwelt bekannt.
1975 erschien in der Fachzeitschrift Omega der Aufsatz „A Dynamic Model of Process and Product Innovation“ von James M. Utterback (Harvard) und William J. Abernathy (MIT). Die beiden US-Amerikaner fassten ihre „ideas for an integrative theory of the innovative process“ im A/U-Modell zusammen. Auch heute findet man das Abernathy-Utterback-Modell (A/U-Modell) weiterhin in fast jedem Lehrbuch zum Innovationsmanagement. Das Konzept identifiziert Schlüsseltechnologien, welche de facto zum Standard werden (heute z.B. Smartphone).
Das Modell beschreibt drei Phasen der Innovation. In den einzelnen Phasen wird der Stellenwert der Produktinnovation und Prozessinnovation betrachtet. Das Modell beschreibt typische Vorgänge und treibende Kräfte, wenn sich eine Technologie zum dominierenden Industriestandard entwickelt, zum sogenannten Dominant Design.
Wenn sich eine gesamte Branche auf ein
nahezu einheitliches Aussehen oder sich
eine Technologie zu einem De-Facto-Standard
innerhalb einer Branche oder Industrie entwickelt,
dann spricht man von Dominant Design.
Everett M. Rogers hat seit den 1950er Jahren untersucht, wie sich Innovationen in der Gesellschaft verbreiten. Die Diffusionstheorie von Rogers erklärt die Entwicklung von Innovationen und besonders deren Verbreitung auf dem Markt. Eine Diffusion kommt zustande, da Innovationen wie neue Dienstleistungen oder Produkte meist zeitlich verzögert übernommen werden. Das Potential einer Innovation verändert sich in diesem zeitlichen Verlauf schrittweise. Das Modell beschreibt fünf verschiedene Konsumentengruppen, die jeweils ein spezifisches Adoptionsmuster von Innovationen haben. Die fünf unterschiedlichen Benutzer-Segmente (Verbrauchertypen) und Phasen werden auch besonders gut von Geoffrey Moore in „Crossing the Chasm“ beschrieben. Die Abbildung veranschaulicht dies grafisch.
Wenn die frühe Mehrheit (Early Majority) das neue Produkt bevorzugen, ist die Kluft (“The Chasm”) zum Massenmarkt überwunden. Oder anders ausgedrückt: Mit Eintritt in den Massenmarkt (Early Majority) wird die Kurve steiler und der Tipping Point ist erreicht.
Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg der
Innovation ist der Tipping Point, also der Zeitpunkt,
bei welchem im Markt der absolute Durchbruch
erreicht wird (Massenmarkt).
Mit Hilfe der Adoptionskurve nach Rogers kann der relative Marktanteil der Innovation in den einzelnen Phasen grafisch dargestellt werden – in einer S-förmigen Kurve. Diese zeigt, wie sich die Nutzung einer Innovation in einer Population im Laufe der Zeit entwickelt.
Zentrale Punkte des S-Kurvenmodells:
Mit Hilfe des Verständnisses für Innovation lassen sich folgende Fragen beantworten:
Der Begriff Disruption leitet sich aus dem Englischen ab. “To disrupt something” bedeutet etwas zu stören, zum Erliegen zu bringen oder zu zerstören. Die Schöpferische Zerstörung (auch kreative Zerstörung) ist ein Begriff aus der Makroökonomie. Dessen Kernaussage lautet, dass jede ökonomische Entwicklung (im Sinne von nicht bloss quantitativer Entwicklung) auf dem Prozess der schöpferischen bzw. kreativen Zerstörung aufbaut. Durch eine Innovation, die sich erfolgreich durchsetzt, werden alte Geschäftsmodelle verdrängt und schliesslich zerstört. Die Zerstörung ist also notwendig − und nicht etwa ein Systemfehler −, damit Neuordnung stattfinden kann. Das Konzept der schöpferischen Zerstörung ist ein Grundmotiv von Schumpeters Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, erstmals auf Englisch erschienen 1942.
Dobrauz unterscheidet zwei Typen von disruptiven Innovationen:
Der Vorteil einer Greenfield Disruption liegt auf der Hand. Es gibt keine Zerstörung eines traditionellen Unternehmens. Challenge ist bei neuen Produkten den Leuten zu erklären, um was es überhaupt geht und diese von der Innovation zu überzeugen. Ein Storytelling kann hier hilfreich sein (z.B. bei Red Bull: Culture/Lifestyle).
Von disruptiven Innovationen zu unterscheiden sind inkrementelle (erhaltende) Innovationen. Hier wird ein gutes Produkt noch besser gemacht (z.B. VW Golf 1/2/3/4/5)
„Disruption bedeutet aus Kundensicht, dass der Kunde eine
neue einfachere, bequemere bzw. günstigere Lösung präferiert“
Stefan Jeker, Leiter Raiffeisen Innovations-Labor
Es war der US-Wirtschaftsprofessor Clayton M. Christensen der dem Attribut „disruptiv“ im Zusammenhang zu Innovationen zu seiner heutigen Popularität verhalf. In seinem 1997 erschienenen Beststeller „The Innovator’s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail“ beschreibt Christensen eine disruptive Innovation als einen Prozess in welchem ein Produkt bzw. eine Dienstleistung vom unteren Ende des Marktes beginnt die dominierende Lösung schrittweise zu verdrängen.
Disruptive Innovationen verlaufen immer gleich. Diese beginnt am unteren Ende eines Marktes (low-lewel). Disruptoren widmen sich zuerst denjenigen Kunden, denen einfachere Lösungen mit weniger Leistungsumfang ausreichen, dafür aber günstiger sind als die der etablierten Firmen (z. B. Digitalkameras im Vergleich zu Analogkameras, E-Auto im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor). Erst sobald das Dominant Design etabliert ist, switcht die Industrie auf zunehmend sophistizierte Geräte, Prozesse und Systeme, um zunehmend standardisierte Produkte zu entwickeln. Das sind eben die Dynamics of Innovation-Kurven (S-Kurven).
Deloitte Digital und Heads legten 2015 in einer Studie in einer Grafik anhand von 17 Branchen dar, dass Firmen im Zeitverlauf und in der Einflussstärke einer Disruption (in Prozent des Wandels am bestehenden Geschäft) unterschiedlich betroffen sein können. Hohe Dringlichkeit zur Adoption des Geschäftsmodells besteht vor allem in Wirtschaftszweigen, bei denen mit einer hohen Einflussstärke gerechnet wird.
Digitale Disruptionen unterscheiden sich von traditionellen Wettbewerbsveränderungen in der Geschwindigkeit der Veränderung und dem Ausmass der Betroffenen. Digitale Disruptoren führen Innovationen schnell ein und nutzen diese dann zur Gewinnung von Marktanteilen. Der Zeitverlauf ist kürzer und es wird nur noch zwischen Testkunden und der überwiegenden Mehrheit der Kunden unterschieden. Man spricht von Big-Bang-Disruptionen.
Die Digitalisierung ist ein Innovationstreiber
und Innovationsbeschleuniger.
Disruptionen erfolgen innert kürzerer Zeit.
Christensen hat gezeigt, dass paradoxerweise gerade gutes Management etablierte Firmen verwundbar macht. Einerseits wünschen Stammkunden Produktverbesserungen und keine neuen Produkte mit weniger Leistungsumfang. Andererseits gehen Disruptoren zuerst die unattraktivsten Kunden an. Bestehende Firmen müssten in einem umkämpften Geschäftsfeld Gewinneinbussen in Kauf nehmen, weil nur tiefere Margen erzielt werden können, was unattraktiv ist. Sobald das neue Produkt aber wettbewerbsfähig ist, wird es für bestehende Firmen schwierig bis unmöglich, das Geschäftsmodell anzupassen. Ignorieren etablierte Player das neue Produkt, riskieren sie, dass es später zu ihrem Untergang führen wird. Dies ist mit ein Grund, weshalb Disruptoren in der Regel von ausserhalb der Branche kommen.
„Disruptionen entstehen meist mit neuen Playern aus
anderen Branchen. Für traditionelle Firmen ist eine
Adoption meistens schwierig bis unmöglich.“
Dr. iur. Günther Dobrauz
Analogkameras wurden innert kurzer Zeit durch Digitalkameras disruptiert. Kurze Zeit später waren Digitalkameras auch nicht mehr gefragt. Das Smartphone von Apple war geboren. Das Beispiel zeigt, dass bestehende Firmen durchaus die Möglichkeit haben zu überleben. Fujifilm überlebte dank der Adoption des Geschäftsmodells. Kodak scheiterte trotz Adoption des Geschäftsmodells.
Kodak, gegründet um 1880, war berühmt für seine Pioniertechnologien und sein innovatives Marketing in der Fotografie. 1974 baute der junge Kodak-Ingenieur Steve Sasson die erste digitale Kamera der Welt. Weil diese Innovation das Geschäftsmodell von Kodak kanalisieren würde verschwand diese in den Schubladen.
1988 hatte das Unternehmen mehr als 145’000 Mitarbeiter und war unter den erfolgreichsten und wertvollsten Marken weltweit. 2013 gab jedoch Kodak das Fotografie-Geschäft auf und hat sich heute auf Druckmaschinen spezialisiert, wo sie mit rund 7’000 Mitarbeiter 2 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaften.
Die Grafik zeigt, dass die Anzahl der verkauften analogen Kameras und Filmrollen den höchsten Absatz zwischen 1998 und 1999 aufwiesen. Zwischen 1995 und 1999 spielten Digitalkameras nur eine untergeordnete Rolle, die Absatzzahlen konnten nur geringfügig gesteigert werden. Im Jahr 1999 kam die Wende – wahrscheinlich wegen des Breitbandinternets: Der Absatz von Digitalkameras konnte ab dann bis ins Jahr 2007 jährlich massiv gesteigert werden, derjenige von Analogkameras ging jährlich markant zurück. 2007 kam das iPhone auf den Markt. Ab dem Jahr 2008 ging dann auch der Absatz von Digitalkameras zurück.
Die Abbildung zeigt, dass Kodak den Umsatz noch bis ins Jahr 2006 halten konnte. Danach ging dieser kontinuierlich zurück. Im Gegensatz zu Kodak hat Fujifilm den Ernst der Lage erkannt und frühzeitig diversifiziert: Im 2001 wurde mit Xerox ein Kopierer-Joint-Venture eingegangen, welches im Jahr 2013 46 Prozent des Umsatzes ausmachte. Das Fotokamerageschäft machte im 2001 54 Prozent aus, im 2013 nur noch 13 Prozent. Der Fall Kodak zeigt eindrücklich, wie schnell ein Geschäftsmodell disruptiert und die Firma an den Rand des Ruins getrieben werden kann. Fujifilm konnte mit der Diversifikation den Umsatz nachhaltig steigern und so der Disruption im Kamerageschäft erfolgreich entgegenwirken.
Etablierte Unternehmen aus allen Branchen müssen
sich EINE schizophrene Frage stellen:
Wie würden wir unser Unternehmen zerstören,
wenn wir das denn wollten?
Patrick Comboeuf, Studienleiter CAS Digital Leadership
Es sind 3 Treiber von Disruptionen zu unterscheiden:
Zentral: In allen drei Fällen braucht es ein adoptiertes Geschäftsmodell.
Die nachstehende Grafik zeigt technologische Innovationen mit der Einschätzung der Marktreife und dem Zeitpunkt der Massenmarktreife.
„Blockchain wird die Welt
revolutionieren wie das Internet.“
Dr. iur. Günther Dobrauz
Die Technologie-Adoption geht heute viel kürzer als früher. Dies hat den Vorteil, dass bei neuen oder angepassten Geschäftsmodellen innert kurzer Frist der Erfolg bzw. Misserfolg beurteilbar ist.
Erfolgreiche Führung eines digitalen Disruptors zeichnet sich durch 4 Aspekte aus:
Mein persönlicher Tipp: Angriff ist die beste Verteidigung. Der Wandel ist unvermeidbar. In diesem Sinne: Disrupt or be disrupted!
Vielen Dank für die Insights an Dr. iur. Günther Dobrauz-Saldapenna!
Videos von Dr. iur. Günther Dobrauz-Saldapenna zum Thema:
Unter „Chapters“ werden in Videos Innovationen, Evolutionen und die Disruption erläutert.
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