Institute for Digital Business

Der Tod in Zeiten von Künstlicher Intelligenz

August 25, 2022

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Von Nancy Wayland.

Ich sitze an meinem Schreibtisch, neben mir eine der letzten Karten meiner kürzlich verstorbenen Mutter – viele hat sie mir davon in ihrem langen Leben geschrieben. Zu Papier gebrachte Umarmungen, Ermutigungen und auch Aufforderungen, doch bitte endlich zurückzurufen. Ich nehme die Karte zur Hand und die unvermittelte Erkenntnis, dass es keine neue Karte mehr geben wird – nie mehr – erschüttert mich.

Die Endlichkeit ist konstituierendes Merkmal des Menschseins, und doch ist die Geschichte der Menschheit voller Versuche, die Begrenztheit des Lebens zu überwinden und damit auch dem Tod zu entkommen; davon zeugen literarische Erzeugnisse, Mythen, Experimente. Es liegt also nahe anzunehmen, dass das Zeitalter der scheinbar unerschöpflichen digitalen Lösungen auch einen neuen Zugang zu dieser ewigen Frage bietet.

Von Deadbots…

Und tatsächlich, Microsoft hat bereits 2017 ein Patent angemeldet, um verstorbene Menschen virtuell „am Leben zu erhalten“ und mit ihnen Textnachrichten auszutauschen. Das Konzept eines solchen «Deadbots» sieht vor, dass eine Art digitaler Chatroboter mit möglichst vielen Text-, Bild- und Videobeiträgen gefüttert wird, die eine verstorbene Person zu Lebzeiten von sich gegeben hat und dieser dann mittels künstlicher Intelligenz die Fähigkeit entwickelt, sich wie diese Person zu äußern. Ob es je zur Anwendung gelangen wird, ist fraglich und Microsoft selbst verneint dies. Dennoch – das Patent steht. Andere haben diese Idee bereits für sich umgesetzt, wie z. B. Joshua Babeau, der den Verlust seiner acht Jahre zuvor verstorbenen Freundin nicht verwinden konnte und mittels dem Programm «Project December» einen hyper-realistischen Bot entwickelte, der gestützt auf ihre Daten mit ihm weiter chattete, wie einem Artikel des San Francisco Chronicle vom 23. Juli 2021 zu entnehmen ist.

… zu virtuellen Begegnung mit Verstorbenen

Die Möglichkeiten des Einsatzes von KI scheinen unendlich und gehen bis hin zur Schaffung neuer, virtueller Realitäten, in die wir eintauchen können. Dies mit dem letztendlichen Ziel, dass dank gelingender Immersion die reale mit der virtuellen Realität verschmilzt. Ein eindrückliches Beispiel, was das im Kontext von unserem Umgang mit dem Tod bedeuten kann, bildet ein Experiment, das 2020 in Südkorea realisiert wurde. Eine Mutter trifft in einem virtuellen Raum ihre drei Jahre zuvor an einer schweren Krankheit verstorbene siebenjährige Tochter, um von ihr Abschied zu nehmen.

Das Video ist ebenso bewegend, wie verstörend und zeigt anschaulich, wie weitreichend die ethischen Fragen sein können, die sich aus der Anwendung von KI ergeben: Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wem die Daten der Verstorbenen gehören, mittels denen Techfirmen künstliche Persönlichkeiten auf der Basis realer Personen schaffen. Ebenso muss man sich z. B. fragen, ob die Angehörigen verhindern können, dass andere aus den Daten des oder der Verstorbenen Deadbots entwickeln.

An der Trauer führt kein Weg vorbei – auch kein virtueller

Ein ganz anderer Aspekt ist die Frage, welche Auswirkungen die Interaktion mit Deadbots auf die Menschen hat, die solcherart in Beziehung mit ihren verstorbenen Angehörigen bleiben. Trauer ist ein komplexer Prozess, der unterschiedliche Phasen beinhaltet, in welchem die Verarbeitung des Verlustes, das Anerkennen der Abwesenheit der verstorbenen Person, das Loslassen und die bewusste Hinwendung zu einem Leben ohne die verstorbene Person von zentraler Bedeutung sind.

Wir müssen reden!

Vor dem Hintergrund der weitreichenden ethischen Fragen, welche Chatbots und ganz besonders Deadbots aufwerfen, ist es erstaunlich, dass sie in den typischen Beispielen zu ethischen Fragen rund um den Einsatz von KI kaum Erwähnung finden. Unabhängig davon gibt es aber bereits erste Einschätzungen aus Expert:innensicht: Eine vom französischen Ministerpräsidenten eingesetzte Spezial-Kommission zu digitaler Ethik (Comité Nationale Pilote D’Ethique Du Numérique) hat im September 2021 ein Gutachten vorgelegt, in welchem sie sich explizit auch zu den Deadbots äussert.

Die Ethikkommission schlägt darin vor, eine gesellschaftliche Debatte zum Umgang mit Chatbots und ganz besonders mit Deadbots zu führen, bevor eine Regulierung ins Auge gefasst wird. Für die Expert:innen ist klar, welche Themen aus ethischer Sicht zu adressieren sind. So zum Beispiel, dass

  • Deadbots die Menschenwürde über den Tod hinaus respektieren müssen
  • Fragen des Schutzes der physischen und psychischen Gesundheit zu beantworten sind
  • Angehörige ihre Zustimmung zur Nutzung der Daten des oder der Verstorbenen geben
  • die Nutzungsdauer eines solchen Bots festzulegen ist

um nur einige zu nennen.

Überfordert ob der Ergebnisse meiner Recherche zu den weit über meine Vorstellungskraft hinausgehenden Anwendungsbeispielen von KI und sehr nachdenklich, nehme ich mein Handy zur Hand und höre die letzte Sprachnachricht meiner Mutter ab.

 

Dieser Fachbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS Digital Ethics verfasst und wurde redaktionell aufgearbeitet.

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