Blog Tutorial: “Mobile First!” oder “Size Matters!”
Januar 4, 2016
Aus dem Unterricht des CAS Mobile Business mit Ralph Hutter bloggt Mustafa Dikbaş:
Wir begegnen dem Ausdruck “Mobile First” schon seit einer Weile immer wieder – und praktisch überall. Doch was bedeutet “Mobile First”? Oder: Was meint Google CEO Eric Schmidt, wenn er sagt: “We understand that the new rule is mobile first”? Und schliesslich: Gibt es überhaupt eine “Mobile First”-Kultur?
Geprägt hat den Ausdruck “Mobile First” der amerikanische Product Leader Luke Wroblewski. Er ist Autor des gleichnamigen Buchs.
Seine drei Kernaussagen:
Zu 1: 77 % der Weltbevölkerung besitzen ein Mobile Device.
Zu 2: Die Designer sind gezwungen, sich auf die Kerninhalte und Kernfunktionen zu beschränken, da im Vergleich zum Desktop 80 % weniger Screen-Fläche zur Verfügung steht.
Zu 3: Designer können neue Technologien für innovative Funktionen nutzen. So gibt es eine ganze Reihe von Apps, die einzig auf der Funktion von Geolocation aufbauen. Touch ID macht viele Anwendungen für Mobiles erst richtig zugänglich.
Bei “Mobile First” geht es also weniger um das Design, entscheidend ist viel mehr die Usability. Der Content muss auf den kleinen Bildschirm angepasst werden, einfach die Bilder verkleinern reicht nicht aus.
Ein Blick auf die erfolgreichsten Apps im iTunes Store zeigt, dass es sich fast ausschliesslich um Anwendungen handelt, die sich auf Kernfunktionen beschränken:
Genau aus diesem Grund dürfte Facebook den eigenen Messenger-Dienst ausgelagert und in eine eigenständige App integriert haben.
Fast jeder und jede hat ein Smartphone, und ein Mobile ermöglicht coole Funktionen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass Unternehmen ihre Produkte und Botschaften als erstes auf Mobiles ausrichten. So sieht die (einleuchtende) Theorie aus:
Aber wie so oft klafft auch hier eine grosse Diskrepanz zwischen Theorie und Realität, die denn meist heisst: Mobile Last.
Der Umstand, dass wir ein Gerät während 24 Stunden auf uns tragen, schafft vollkommen neue Realitäten – auch für die Arbeitswelt. Der Arbeitgeber muss die Mitarbeitenden nicht mehr im Umgang mit einem elementaren Gerät schulen (wie früher beim PC): Er muss seinen Mitarbeitenden nicht mehr zeigen, wie sie E-Mail verwenden oder sich im Intranet bewegen können. Dazu kommt, dass mittlerweile die Arbeitnehmenden technisch besser ausgerüstet sind als der Arbeitgeber selber. Auch die Wertung verschiebt sich: Als attraktiv gilt jener Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitenden die freie Wahl bei den Arbeitsgeräten gewährt oder die Möglichkeit zulässt, mit dem privaten Gerät zu arbeiten (“bring your own device”).
Diese Verschiebung der Realität ist so tiefgreifend, dass wir nicht von einem kurzfristigen technischen Phänomen sprechen können. Vala Afshar drückt es wie folgt aus: “The notion that mobile and social is tech … It’s not; it’s a lifestyle.”
Wir unterscheiden drei Gruppen von Konsumierenden:
Die traditionellen Konsumentinnen und Konsumenten sind zwar kaufkräftig und nach wie vor als Zielgruppe attraktiv, aber sie kommen langsam ins Pensionsalter. Die Transitionals haben zahlenmässig die Traditionals eingeholt. Dabei handelt es sich um meine Generation: Menschen, die in eine traditionelle Konsumwelt hineingeboren wurden und den Wechsel in die digitale Konsumwelt erlebt haben. Doch schon bald übernehmen die Digital Natives das Zepter: 2017 werden sie anteilmässig die grösste Konsumentengruppe darstellen.
Der durchschnittliche Amerikaner besitzt vier digitale Screens und konsumiert während 60 Stunden in der Woche geräteübergreifend Content, oft gleichzeitig von zwei Screens. Meist ist der Hauptscreen der HDTV, während bevorzugt Tablets als Second Screen zum Einsatz kommen.
Die häufigsten Second-Screen-Anwendungen:
Oft geschehen die Interaktionen über Social-Media-Kanäle. Dabei wird immer deutlicher, dass keine eigentliche Grenze zwischen Social Media und Mobile gezogen werden kann, denn Social Media findet in erster Linie auf Mobiles statt.
Inhalte werden mit dem Mobile kontextbezogen konsumiert, wobei auch die persönlichen Merkmale der Akteurinnen und Akteure eine Rolle spielen .
Beispiele dazu:
Siehe dazu auch The U.S. Digital Consumer Report.
Auch bei den Konsumzeiten lassen sich kontextbezogene Muster feststellen: Auf dem klassischen PC wird fast ausschliesslich während der Arbeitszeiten gelesen. Auf dem Smartphone hingegen wird an den unterschiedlichsten Orten und zu den unterschiedlichsten Zeiten gelesen:
Das iPad kommt oft am Abend als Second Screen zum Einsatz.
Laptop: Lange Nutzung mit wenig bis nur einer Lücke
Tablet: Längere Konsumphasen mit kurzen Unterbrüchen
Smartphone: Kurze Phasen, hohe Frequenz, in jeder freien Minute wird es angeschaut. Aber: Aufmerksamkeitsspannung ist tief
Diese zunehmend hohe Frequenz bei Mobiles spiegelt sich auch beim Datenverbrauch wider. Der Mobile Data Traffic geht steil nach oben, auch dank Datenflatrate.
Fakt: Google weist aus, dass 2015 Mobile Traffic höher ist als stationärer Traffic. Wenn eine Site nicht auf Mobiles angepasst ist, wird sie im Google-Ranking bestraft.
Der Konsum von Live-TV nimmt am meisten ab. In der Summe bleibt der TV-Konsum im Allgemeinen unverändert hoch. Wir konsumieren aber vermehrt dann, wenn wir Zeit haben (VoD etc.). Die Quelle dafür ist häufig das Internet. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Loslösung des Internets vom Computer.
Kundinnen und Kunden erwarten mittlerweile, dass sie die Dienstleistungen digital konsumieren können. Sie wollen nicht mehr an Öffnungszeiten gebunden sein. Sie erwarten, dass Mails innert 24 Std beantwortet werden, bei Fragen via Twitter soll gar innert einer Stunde reagiert werden.
Diese Erwartungshaltung führt dazu, dass Unternehmen mit ihren Kunden in deren Kanälen kommunizieren. Banken sprechen plötzlich via Skype mit ihren Kundinnen. Diese müssen vorher aber unterschreiben, dass sie wissen, dass dieser Kanal unsicher ist und dass das Bankgeheimnis nicht garantiert werden kann.
Diese Unternehmen verfügen über eine Mobile First Strategie:
Eine Strategie ist verhältnismässig schnell verordnet – im Gegensatz zu einer Kultur. Bis sich eine bestimmte Kultur in einem Unternehmen etabliert hat, vergehen in der Regel Jahre.
Dazu hat Russel Consulting folgendes Modell erstellt:
Physische Ebene: Schnell realisiert, Arbeitsprozesse, Werkzeuge etc.
Infrastruktur-Ebene: Auch schnell realisiert, braucht aber etwas mehr Zeit. Strategie, Systeme, Messwerte etc.
Verhaltens-Ebene: Beansprucht mehr Zeit. Es geht darum, was Gruppen und Menschen tun.
Kultur-Ebene: Der Kernwert eines Unternehmens. Bis auch bei den Mitarbeitenden der Glaube an die Unternehmenswerte verankert ist, vergehen mehrere Jahre. Es ist diese Ebene, die zeigt, ob eine Mobile-First-Kultur gelebt wird.
Die Investmentbanker Tim Galpin & Toby Tester haben das Thema etwas präziser in Handlungsfelder aufgeteilt:
Gibt es eine Mobile-First-Kultur? Ja, aber sie ist nicht tief in der Geschäftswelt verankert. Und ob sie dereinst zum Standard wird, ist fraglich, denn:
Ist “Mobile First” das neue Mantra des erfolgreichen Business? Jein. Der Umstand, dass einstige Mobile-Only-Anwendungen wie WhatsApp oder Uber mit einer Web-App nachziehen, gibt zu denken. Auch wenn Mobiles unbestrittene und immer wieder betonte Vorteile mit sich bringen, so ist eines ihrer elementarsten Merkmale auch ihr grösster Nachteil: die Displaygrösse. Es lässt sich nun mal nicht leugnen, dass wir auf einem grösseren Display effizienter arbeiten können, besser schreiben können. Und es ist nun mal Tatsache, dass die allermeisten Personen einen grossen Teil ihrer Zeit vor einem grossen Bildschirm sitzen. Apple dürfte sich durchaus etwas dabei überlegt haben, als es das iPad in Extra-Gross (iPad Pro) herausgebracht hat. Das andere Extrem stellen die Smartwatches mit ihren winzigen Displays dar, die dank Billigstproduktion und einem etablierten Betriebssystem wie Android ausgehend von Fernost langsam die Märkte überschwemmen. Wer weiss, wie die Geschäfts- und Konsumwelt in zwei Jahren aussieht?
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