Anonymus
Von Daniel Ehrensperger, Januar 12, 2023
Krieg in jeder Form ist zu verurteilen. Ich möchte ein paar Gedanken zum Hackerkollektiv Anonymus und ihrer Rolle im aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine teilen.
Mit Anonymus (von griechisch ανώνυμος = namenlos) bezeichnet man einen Schriftsteller, Verfasser oder Komponisten unbekannter Herkunft und Identität.
Was oder wer ist Anonymus? Anonymus ist eine Protestbewegung, die im Jahr 2008 das erste Mal mit Protestaktionen politisch auf sich aufmerksam gemacht hat. Es begann ursprünglich mit Aktionen zur Redefreiheit, Unabhängigkeit des Internets, gegen das Urheberrecht und diverse Organisationen wie beispielsweise Scientology, Konzernen, staatliche Behörden sowie auch bei internationalen Problemfällen. Anonymus trat zu Beginn im Netz auf, seit geraumer Zeit immer mal wieder auch physisch an Protestaktionen.
In Europa herrscht Krieg! Wer hätte das gedacht, und wer hätte zudem gedacht, dass sehr viele Menschen die Aktionen von Anonymus unterstützen. Vor noch nicht so langer Zeit wurde Anonymus von vielen Menschen als eher bedrohlich und staatsfeindlich bezeichnet. Es wurden Datenbanken von grossen internationalen Konzernen gestohlen, YouTube Kanäle sabotiert, E-Mails geleakt und Kreditkarten-Unternehmen attackiert und deren Server lahmgelegt.
All diese Hacker-Attacken fanden wir grösstenteils nicht lustig, da auch der normale Bürger davon betroffen war. Da wurden nicht unbedingt sehr viele Sympathiepunkte an die Aktivisten von Anonymus vergeben.
Anonymus hat sich in den Krieg eingeschaltet und unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland. Ein Cyberkrieg der vermeintlich Guten gegen die Bösen. Die Narrative werden ausgespielt. Der gute Westen gegen den bösen Osten. Aktuell scheint es mir, dass wir Anonymus, alle bisher durch das Kollektiv verursachten Schäden verzeihen, bloss, weil sie sich dem Kampf gegen Russland angeschlossen haben. Bei Diskussionen in meinem Umfeld kann ich feststellen, dass Anonymus plötzlich verehrt wird. Erstaunlicherweise sogar von Personen, die von Hacks durch das Hackerkollektiv direkt betroffen wurden. IT-Systemadministratoren bejubeln die Medienmitteilungen, in welchen wieder von einem Cyberangriff auf russische digitale Infrastrukturen berichtet wird.
Es gibt jedoch auch sehr kritische und in meinen Augen vernünftige Stimmen. Manuel Atug, Mediensprecher der AG KRITIS (Kritische Infrastruktur), warnt vor Angriffen auf kritische Infrastrukturen. Die Hacker wissen in der Regel nicht, wie Reaktionen von Infrastrukturen ausfallen können. Es kann sehr gefährlich sein, ein Stromproduzent anzugreifen. Es ist nicht auszuschliessen, dass als Folge gewisse Sicherheitssysteme nicht mehr zuverlässig funktionieren und der Schaden immens sein kann. Würde beispielsweise ein Wasserkraftwerk angegriffen und dieses könnte nicht mehr reguliert werden, so könnte dies andere Länder treffen, die von diesem Wasser abhängig sind. Angriffe auf Infrastrukturen treffen in der Regel die Bevölkerung und nicht, wie im aktuellen Fall gewünscht, die Regierung. Zu bedenken ist auch, dass es keine Legitimation für solche Angriffe gibt. Das heisst im konkreten Fall, dass sich Hacker grundsätzlich strafbar machen.
Im Moment habe ich das Gefühl, dass die Mehrheit der Menschen diese Angriffe im Kontext des Krieges legitimiert. Was jedoch wird danach sein? Ärgern wir uns dann wieder, wenn unsere E-Mail-Adresse durch einen Hack ins Darknet wandert?
Es gibt für mich bei diesem Thema auch ethisch moralische Handlungen, bei welchen ich mich dann frage, ob sie nicht komplett das Ziel verfehlen. Warum werden persönliche Daten von russischen Soldaten im Internet publik gemacht? Wissen wir denn, ob genau diese Soldaten im Krieg sind. Was muss eine Mutter denken, wenn ihr Sohn auf einer solchen Liste erscheint? Haben wir das Recht, aus der Ferne über Menschen zu urteilen? Ist es ethisch korrekt, solche Daten mit der Welt zu teilen? Sind diese Aktionen im Cyberkrieg zielführend oder lösen sie nur weitere Aggressionen aus?
Ist es möglich, zu unterscheiden, welche Daten und Bilder aus der Kriegsregion echt sind oder nicht. Ich denke, es ist uns nicht möglich, zu erkennen, welche Informationen wahr sind und welche nicht. Um so mehr sind wir in der Pflicht, diese Verwirrungen nicht noch zu schüren und vielmehr Werte wie Ehrlichkeit, Transparenz, Achtsamkeit und Respekt zu leben und zu lehren.
Ich habe mich zu Beginn dieser menschlichen Katastrophe auch dabei ertappt, wie es mich gefreut hat, dass die eine oder andere Website lahmgelegt und staatliche russische Unternehmen gehackt wurden. Ich fand es toll, dass private Daten von russischen Oligarchen publik gemacht wurden.
Ich glaube nicht. Ich persönlich finde es erstrebenswert, wenn auf Missstände hingewiesen wird. Diese Missstände auf eine, in meinen Augen, ethisch moralisch bedenkliche Art und Weise zu korrigieren, ist für mein Verständnis nicht vertretbar.
Krieg, in welcher Form auch immer, kennt nur Verlierer!
Dieser Fachbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS Digital Ethics verfasst und wurde redaktionell aufgearbeitet.
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