Bandagen, Bratwurst, LulaLand
Juni 27, 2015
Aus dem Unterricht des CAS Multichannel Management berichtet Gaston Haas:
Was zeichnet einen erfolgreichen Kurzfilm aus? Drei Beispiele von Jan Hellstern, Berliner Filmemacher und Autor:
Düstere Nachtstimmung. Ein Mädchen spricht mit seiner Puppe. Die Grossmutter hört, wie die Kleine vom LulaLand erzählt. LulaLand, das ist die Chiffre für den Horror in dieser Familie. Ihr Mann hatte einst den gemeinsamen Sohn missbraucht, im Arbeitszimmer – im LulaLand eben. Holt den Sohn nun die Vergangenheit ein? Missbraucht er seine eigene Tochter?
http://www.janhellstern.de/2014/9/12/lulaland-subtitled
Zwei Männer diskutieren am Zürcher Sternengrill über Gott und die Welt. Ein ETH-Physiker und der Organisator von «Karaoke from Hell» etwa. Zehn Minuten, in denen zwei Welten aufeinanderprallen, zusammengehalten von Bürli, Senf und Kalbsbratwurst. Reicht dem Professor eine Wurstlänge, um AC/DC kennenzulernen?
http://www.janhellstern.de/shorts-conent/2014/9/9/sternentalk-rocker-professor
Der Hersteller von medizinischen Hilfsmitteln hat diesen Kurzfilm in Auftrag gegeben. Eine Volleyballspielerin aus Brasilien erzählt, was sie zu sportlichen Höchstleistungen treibt. Doch dann, das Knie: Verpasst sie wirklich den grössten Tag ihres Lebens?
http://www.janhellstern.de/shorts-conent/2014/9/12/bauerfeind-brasil-ii-adenizia-portrait-engl
Die Clips von Bauerfeind zeigen keine einzige Bandage, keinen Kompressionsstrumpf, keine Orthese. Und kein Statement des CEO. Einzig das Logo erscheint ganz kurz am Anfang und am Schluss des Films.
Aber dank den Bandagen von Bauerfeind hat Adenízia Aparecida Ferreira da Silva 2012 den Volleyballfinal der Olympischen Spiele in London gespielt – trotz Verletzung. Und sie hat gewonnen. Gold für Adenízia – und für Bauerfeind.
Am Sternengrill in Zürich essen zwei Männer eine Bratwurst. Die Kamera fängt einige wenige Impressionen vom Bellevue ein. Aber dann ist Schluss mit Werbung: Professor und Rockfan reden über alles. Bloss nicht übers Essen.
Aber zwei völlig unterschiedliche Menschen unterhalten sich über Gott und die Welt. Der Physiker hat keine Ahnung von Karaoke. Und der Rocker weiss wenig von Physik. Aber der Sternengrill bringt Menschen zusammen, die sich sonst nie begegnen würden.
Die Story thematisiert den Kindsmissbrauch. Dass der Film im Auftrag der Kinderschutzorganisation «Hänsel und Gretel» gedreht wurde, erfahren wir erst im Abspann.
Aber ein Shortmovie reicht, um uns die Thematik Kindsmissbrauch/Inzest so um die Ohren zu hauen, dass es einige leere Schlucke braucht, um die Story zu verdauen.
Jan Hellstern weiss, dass Marken sich in Zeiten des Internets ständig neu erfinden müssen. Routiniert spricht er über Castings, Heroes’ Journeys, Drehbücher, das Führen von Schauspielern, Serien und Cliffhanger. Und davon, dass sich Werbung und freies Geschichtenerzählen immer mehr angleichen.
Hellstern sagt, dass viel mehr als drei, vier Minuten leider nicht mehr drin lägen heute. Werde der Film länger, seien wir Medienkonsumenten draussen. Urknall und Olympia-Final hin, gequälte Kinder her.
Hellstern spricht vom Handwerk des Filmemachens. Von Emotionen, Farbwahl und Kameraführung. Seine Produkte sind professionell gemacht. Sie ziehen uns rein. Sind technisch perfekt. Aufbau, Spannungselemente, Auflösung, gute Schauspieler – alles da. Die Auftraggeber dürfen zufrieden sein.
Bloss die Seele fehlt. Das «Geheimnis», das jede wirklich gute Story ausmacht, lässt sich nicht einkreisen, definieren, in Tutorials pressen und vervielfältigen. Auftragsgeschichten haben keine Seele, sind letztlich kalt und gefühlsfrei, weil sie berechnet sind – und berechnend erzählen.
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